Ich habe hier schon zwei Titel von Edward Lee besprochen.
Aber das waren, wenn man den allgemeinen Behauptungen zdazu Glauben schenkt, zwei der eher „harmloseren“ Romane des Autors,
der besonders für seine härtere Gangart berühmt - oder sollte ich lieber
berüchtigt sagen – ist. Und da mir beide Romane, INNSWICH HORROR und HAUS DER
BÖSEN LUST, sehr gut gefallen haben, war es also endlich mal an der Zeit eines der
heftigeren Werke Lees zur Brust zu nehmen. MUSCHELKNACKER ist sogar eine
doppelte Premiere für mich. Es ist auch der erste Band der Reihe Festa Extrem, den ich gelesen habe. Jene
Reihe von angeblich extremen Romanen, die für den Buchhandel zu hart sind und
nur über den Verlag erhältlich sind. Jedenfalls in gedruckter Fassung, die
E-Books kriegt man auch über die gängigen Verkaufskanäle.
Der Roman MUSCHELKNACKER erschien 2002 unter dem Titel
FAMILY TRADITION in den USA (der Originaltitel passt eigentlich besser zum Buch, aber ich finde MUSCHELKNACKER ist durch seine Mehrdeutigkeit ein geschickt gewählter deutscher Titel) und ist eine Gemeinschaftsarbeit Lees mit John
Pelan, der eher als Verleger, denn als Autor von sich Reden gemacht hat. Wie
groß Pelans Einfluss auf das Buch war, kann man natürlich nicht genau sagen.
Aber ich gehe davon aus, dass der Hauptteil des Romans auf Lees Mist gewachsen
ist. Aber genug der langen Vorrede: Worum geht es in dem Roman?
Gleich der ersten Satz gibt die Richtung vor: „ „Junge,
wichst du schon wieder mit den Würmern?““ Hier wird nicht lange gefackelt: es wird eklig und es geht um Sex - wenn man das denn so nennen möchte, was da so alles praktiziert wird.. Die beiden Brüder Esau und Enoch leben zusammen auf einer
kleinen Insel im Sutherland Lake und betreiben dort einen Angelbedarf-Shop.
Vordergründig jedenfalls. Eigentlich sind sie perverse Hinterwäldler, die sich
an gestrandeten Touristen vergehen und mit ihnen allerhand unappetitliche
Sachen veranstalten, die auch sehr detailreich beschrieben werden. Dann ist da
noch Ashton Morrone, ein berühmter Sterne-Koch, an dessen Thron gerade ein
anderer Koch sägt. Um seinen Widersacher in die Schranken zu weisen, sucht er
nach einer besonderen Delikatesse, die er seiner Kundschaft kredenzen kann.
Und er findet diese in einem Bericht
über den Sutherland Lake, wo es eine seltene Speisefischart geben soll. Er
macht sich mit seinem Bruder, beide
entsprechen dem Klischee reicher älterer Ekelpakete, auf den Weg zu dem See. Sie
haben natürlich ihre beiden jungen, äußerst attraktiven Partnerinnen (u.a ein Ex-Pornostar, ist klar)dabei. Am
See angekommen machen sie bald Bekanntschaft mit den beiden Brüdern, von denen
einer zufäliigerweise ein Fan des Starkochs ist. Und von da an geht alles den
Gang, den man aus vielen Backwood-Slasher-Filmen kennt.
Nun liest sich die kurze Inhaltsangabe zugegebenermaßen
nicht sonderlich originell. Aber das täuscht. Das Autoren-Duo baut nicht nur einige extrem eklige und alle gängigen Geschmacksgrenzen sprengende
Details in die Handlung ein, die an
Perfidität kaum zu überbieten sind. Nein, sie schaffen es auch mit anderen
Details zu überraschen. Ich kann jetzt leider nicht näher darauf eingehen, denn
ich will zukünftigen Lesern den Spaß nicht verderben. Denn das ist diese
Geschichte letztendlich – ein großer Spaß. Man merkt, dass Lee und
Pelan mit großem Enthusiasmus versucht haben, den vorangegangenen Widerlichkeiten immer noch eines draufzusetzen. Und das gelingt ihnen. Man
braucht entweder einen guten Magen oder eine nicht besonders ausgeprägte
Vorstellungskraft, um das Buch einigermaßen schadfrei zu überstehen. Aber der
recht kurze Roman ist bei weitem keine Verherrlichung von irgendwelchen
Perversitäten. Das Ganze ist so unglaubwürdig und ironisch übertrieben, dass
man die Geschichte überhaupt nicht ernst nehmen kann. Es ist in dem besten Sinne
gute Unterhaltung, wie es auch ähnlich geartete Splatterfilme sind.
Ich kann MUSCHELKNACKER beileibe nicht jedem ans Herz legen.
Es wird genug Leute geben, die wegen solcher Bücher den Untergang des
Abendlands am Horizont heraufziehen sehen. Aber wem das egal ist, der bekommt
nicht nur eine Aneinanderreihung von Gewalt und Perversionen geboten. Lee
versteht es jenseits davon, auch eine gute Geschichte zu erzählen und entlockt
einem eigentlich ausgelutschten Genre wie dem Backwood-Slasher durch seine
Einfälle noch so etwas wie Originalität. Mir hat der Roman Spaß gemacht, man
darf das alles bloß nicht ernst nehmen.
Mein dritter Roman von Edward Lee war also komplett anders als die anderen beiden. Aber er war auch gut. Also muss es am Autor liegen, der mich auf verschiedenen Spielwiesen des Horrors, bisher jedenfalls, imer wieder überzeugt hat. Mal sehen, wann der nächste Lee an die Reihe kommt. Lange wird es bestimmt nicht dauern.
Titel der amerikanischen Originalausgabe: FAMILY TRADITION (2002)
Aus dem Amerikanischen von Christian Jentzsch
Festa, April 2014
189 Seiten
12,80 € (Taschenbuch)
ISBN: Privatdruckauch als E-Book (4,99 €) ) erhältlich
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