Dienstag, 19. Februar 2013

Grit Richter (Hrsg.): Vampire Cocktail



Vampire Cocktail ist die erste Anthologie des 2012 neugegründeten Art Skript Phantastik Verlags. Wie der Titel nahelegt, haben die in dem Buch enthaltenen 16 Geschichten zwei Vorgaben gehabt: Vampire sollen darin vorkommen und Getränke, im besten Fall Cocktails, sollen auch eine Rolle spielen.

Nach dem Twilight-Boom der letzten Jahre habe ich persönlich immer ein wenig Angst, wenn ich ein Buch mit Vampirgeschichten in die Hand nehme. Dieser romantisierende Quatsch, der mit den Geschöpfen der Nacht dort betrieben wurde, ist mir nämlich arg zuwider. Für mich sollte ein Vampir böse sein. Ich weiß heute noch, wie ich Nächte lang nicht vernünftig schlafen konnte, nachdem ich in jungen Jahren das erste Mal Polanskis Tanz der Vampire gesehen hatte. Das ist zwar ein eher lustiger Film. Aber Graf Krolock hat meinem jugendlichen Ich richtig Angst eingeflößt.

Also habe ich die Furcht bekämpft und begonnen zu lesen. Die meisten der Autoren haben mir vom Namen her erst einmal nichts gesagt. Nur von dreien hatte ich schon mal etwas gelesen. Die Herausgeberin verspricht Abwechslung. Das hört sich schon mal gut an. Und neugierig auf (mir) unbekannte deutsche Autorinnen und Autoren bin ich allemal. Also los gehts:
Stephanie Mühlsteph: Bittersüß wie Absinth
Die erste Geschichte versetzt uns ins London des ausgehenden 19. Jahrhunderts. In einer typischen Opiumhöhle der Zeit überbringt eine Vampirin einem anderen Vampir, der sich eines Vergehens schuldig gemacht hat, bei einem Glas Absinth das Urteil der Vampirgemeinschaft. Das ganze ist okay, aber gerade zum Ende fehlt ein wenig das Überraschungsmoment. Ein durchschnittlicher Auftakt der Anthologie der Luft nach oben lässt.

Denise Mildes: Legenden
Legenden spielt in einer heruntergekommenen New Yorker Bar. Ein Mann trinkt dort ein Bier und kommt mit einem anderen Mann ins Gespräch, von dem er das glaubt, dass er ihn vor sehr langer Zeit schon einmal begegnet ist. Auch das ist eine ordentliche Geschichte, mit einer zwar vorhersehbaren, aber dennoch guten Schlusspointe.

Michael Zandt: Unter dem Nebelmond
Im Stuttgart einer Parallelwelt (wo zum Teil auch Zandts zwei bisher erschienene Romane spielen) wird eine Lamia von einem Ordnungshüter nach einer Gesetzesübertretung erpresst, seiner Tochter zu helfen. Das ist von mir jetzt etwas kryptisch formuliert. Aber ich will nicht zu viel verraten. Das erste Highlight des Bandes. Eine großartige Geschichte, die auch noch toll erzählt wird. Das untrüglichste Zeichen übrigens, dass man sich nicht in der realen Welt befindet, sind meines Erachtens aber nicht die Lamia und ähnliche Wesen, sondern die Tatsache, dass die Stuttgarter Kickers hier eine Spitzenmannschaft sind.

Diana Scott: Fang mich, wenn du kannst
Das ist so eine Geschichte vor der ich mich gefürchtet hatte. Eine geschiedene, sexuell ausgehungerte Frau wird während ihres Urlaubs vom Hotelbesitzer (offensichtlich ein Vampir) angegraben und verfällt dem unheimlichen Fremden, obwohl sie sich vor ihm fürchtet. Grässliche Schmonzette auf Dr.-Stefan-Frank-Niveau.

Sabine Frambach: Kleiner Zauber
Sabine Frambach ist eine sehr amüsante, aber auch sehr kurze Geschichte geglückt, in der ein Vampir seine, durch einen tragischen Unfall verstorbene Gefährtin, mittels eines Mojitos wieder zum untoten Leben erwecken will. Ob Niederländer die Geschichte auch so lustig finden werden wie ich, ist eher fraglich.

Bianka Brack: Auf dem Weg zum Mars trinke ich nie Bloody Mary
Geschichte Nummer Sechs ist eine SF-Vampir-Story. Eine Vampirin, die sich als Auftragskillerin verdingt hat, trifft auf einem Flug zu einem Job auf den Mars einen Vampirjäger, der zu Zeitreisen in der Lage ist. Bei einem Gespräch an der Bar bringt sie ihn zum Nachdenken über seine bisherigen Taten. Das Science-Fiction-Setting ist eine nette Abwechslung, aber die Geschichte als solche kommt nicht über den Durchschnitt hinaus.

Markus Heitkamp: Bloody Brain
Eine Vampirin verirrt sich auf einer Nordsee(?)-Insel in eine Bar, wo gerade eine Vampir-Kostüm-Party läuft, in deren Verlauf sie einige Cocktails mixt und das Herz der Barbesitzerin erobert. Das alles ist bemüht auf witzig getrimmt und noch gespickt mit pubertären männlichen Sexphantasien. Und dazu lässt auch der Stil des Autors zu wünschen übrig.

Alessandra Reß: Neonnacht
Hier bekommt eine junge Dame, die gerade von ihrem Freund verlassen wurde, in einer Shisha-Bar von einer Vampirin ein verlockendes Angebot. Durchschnittliche Geschichte, die ein bisschen bieder und überraschungsarm daherkommt.

Sabrina Zelezný: Pisco Sour, Pishtaco Sour
Eine Vampirin ist im peruanischen Hochland per Zug auf dem Weg zu ihrem Gefährten. Beide suchen sich vor ihrem Treffen noch ein Opfer aus. Doch beide Opfer sind nicht das, was sie zu sein scheinen. Interessant und geschickt werden hier drei verschiedene Mythen zu einer stimmigen Geschichte verwebt. Klasse.

Stefanie Bender: Blutcocktail
Eine Barkeeperin lässt sich auf ein Spiel mit einer Vampirin ein, um das Leben ihres Freundes und sich vor einer Zukunft als Vampir zu retten. Krude Story, der es an allem, vor allem aber an Logik, fehlt.

Sigrid A. Urban: Insiderwissen inklusive
Einem etwas arroganten Horrorautor bekommt in einer Gothic-Disco auf unliebsame Weise seine Recherchen zu einem Vampirroman vertieft. Die Geschichte ist okay, aber zu kurz um wirklich zu überzeugen.

Nina Sträter: Garvamore, der beste Single Malt Whisky der Welt
Bei der Verkostung eines wegen einer Vampirlegende besonders seltenen Single Malts kommt es zu einem fiesen Finale. Besonders durch zwei wunderbar kauzige Journalisten bekommt diese Geschichte etwas vom Charme alter Heftromanklassiker aus den 1970er Jahren. Sehr, sehr gute Hommage an trashige Vampirgeschichten.

Olaf Lahayne: Spielhölle
Eine offensichtlich spielsüchtige Frau erhält von einem Mann die Gabe weitergegeben, jedes Glücksspiel zu gewinnen. Diese Geschichte mag alles sein, nur eines ist sie nicht: eine Vampirgeschichte. Thema verfehlt und dazu auch noch langweilig.

Leonie Sielska: Miami Nights
Die Friedensverhandlungen einer Vampir- und einer Werwolffamilie in Miami werden durch den Rachefeldzug einer einzelnen Vampirin sabotiert. Ein an den Film Underworld erinnerndes Szenario, das eine gut erzählte und spannend konstruierte Geschichte liefert. Noch ein Highlight der Anthologie.

Jana Oltersdorff: Der perfekte Cocktail
Der Vampir Harry Petersen ist der Besitzer einer Vampir-Bar in Frankfurt. Kurz vor der großen monatlichen Vampir-Party bekommt er unerwarteten Besuch von der neuen städtischen Lebensmittelkontrolleurin. Lustige Geschichte, die es durch einige sehr gute Pointen schafft, dem Leser die Mundwinkel in Höhe zu ziehen.

Sven Linnartz: Der Gast ist König
Die abschließende Geschichte des Buches ist der Monolog eines Discobesitzers, der parallel zu einer Disco für die junge und solvente akademische Elite auch noch einen Club für die noch betuchtere Vampirkaste führt. Uninteressant und langweilig.

Fazit: Der Klappentext hat nicht gelogen. Abwechslung wird geboten. Trotz der relativ engen Vorgaben ist es den Autoren gelungen recht unterschiedliche Storys abzuliefern. Aber nicht nur von der Handlung her, sondern auch von der Qualität. Ein gutes Drittel der Kurzgeschichten sind in meinen Augen sehr gut, ein Drittel eher durchschnittlich und ein Drittel hätte für mich nicht gedruckt werden müssen. Also komme ich alles in allem zu einem durchschnittlichen Fazit. Trotzdem hat sich die Lektüre für mich gelohnt. Und zwar, um sie nochmal explizit zu nennen, wegen der Geschichten von Michael Zandt, Sabine Frambach, Sabrina Zelezný, Nina Sträter, Leonie Sielska und Jana Oltersdorff.

Grit Richter (Hrsg.): Vampire Cocktail
Geschichten aus der Vampirwelt
Art Skript Phantastik, Juli 2012
288 Seiten
11,80 € (Taschenbuch)
ISBN: 978-3-9815092-5-0



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