Donnerstag, 5. März 2015

David Cronenberg: Verzehrt

Der Filmregisseur David Cronenberg hat nun im fortgeschrittenen Alter sein Romandebüt vorgelegt und es damit gleich auf die Short List der Stoker Awards in der Kategorie bestes Romandebüt geschafft. Aber ob der Roman wirklich in die vom Stoker Award berücksichtigten Kategorien passt, sei erst einmal dahingestellt.

Verzehrt erzählt vordergründig die Geschichte des Journalistenpärchens Naomi Seberg und Nathan Math, die an scheinbar unterschiedlichen Stories arbeiten.  Er ist zunächst bei einem ungarischen Arzt, der in Budapest dubiose Brustoperationen durchführt, und anschließend in Toronto, wo er Dr. Barry Roiphe trifft, dem Entdecker und Namensgeber einer seltenen Geschlechtskrankheit, die sich Nathan in Budapest selbst eingefangen hat. Naomi ist in Paris und recherchiert in einem obskuren Mordfall, in dem der männliche Part des französischen Philosophenpaares Aristide und Celestine Arosteguy den weiblichen umgebracht und verspeist, oder sollte ich eher schreiben verzehrt, haben soll. Im Rahmen ihrer Nachforschungen folgt Naomi dem Philosophen auch nach Tokio, um seine Version der Geschichte zu erfahren.

Das ist grob umrissen die Handlungslinie von Verzehrt, und zwar sehr grob. Denn dann sind da noch die interessanten Nebenfiguren, die mehr als wichtig für den Fortgang der Handlung sind:  ein ehemaliger Student der Arosteguys, der ungarische Chirurg und seine Patientin, Dr. Roiphe und seine Tochter sowie eine japanische Freundin Naomis.  Und wenn man mit Cronenbergs filmischen Oeuvre vertraut ist, wird es nicht verwundern, dass nahezu jede dieser Figuren  körperlich und/oder seelisch lädiert ist. Der eine leidet an der Peyronie-Krankheit (Penisverkrümmung), der andere hat die (erfundene) Roiphe-Krankheit, dazu ist Kannibalismus auch noch alles andere als normal, genauso wie sich selbst Stücke aus dem Körper zu entfernen und diese dann zu essen.  Das ist Body-Horror, wie man ihn aus Cronenbergs Filmen kennt, also doch genre-kompatibel.

Cronenbergs Roman ist gespickt mit Verweisen zum Medium Film. Die Amerikanerin in Paris heißt Seberg, der junge Philosoph hat für Naomi eine Attitüde wie Jean-Pierre Leaud, Cinema verité und tschechische Filme werden zum Vergleich herangezogen. Man merkt, dass hier ein Filmkenner am Werk ist. Dazu sind die Seberg und Math geradezu technikversessen, sie haben immer das neueste digitale Equipment (meistens in einem Flughafenladen gekauft) und definieren sich über den Konsum. Da passt dann wieder die Konsumismus genannte Philosophie der Arosteguys. Nicht umsonst lautet der Originaltitel des Romans Consumed, was weitaus mehrdeutiger ist, als der deutsche Titel. Aber auch hier reichen die Zeilen nicht aus, die Anspielungen aufzuzeigen, die ich entdeckt habe, und das wird vermutlich nur ein Bruchteil der Anspielungen  sein, die Cronenberg  gemacht hat.

Verzehrt ist eine intelligent komponierte Geschichte mit einer interessanten Auflösung, wenn man sie denn  als Auflösung bezeichnen kann. Nicht alle losen Enden werden zusammengeführt. Aber das erwartet man als Leser nach diesem Ritt auch gar nicht. Trotzdem fehlt etwas, um aus diesem guten Roman , einen sehr guten zu machen, obwohl alle Zutaten dafür da sind. Cronenberg  lässt manchmal das Durchscheinen, was er auch seiner Protagonistin andichtet. Die Ehrfurcht des amerikanischen Intellektuellen vor dem europäischen, speziell dem französischen Pendant, und das hat mir ein wenig das Vergnügen an diesem Roman genommen. Nichtsdestotrotz habe ich keine Sekunde der Lektüre bereut und hoffe, dass es nicht Cronenbergs einziger Ausflug in die Literatur bleibt.

David Cronenberg: Verzehrt
Titel der amerikanischen Originalausgabe: CONSUMED (2014)
Übersetzung: Tobias Schnettler
Umschlaggestaltung: Gundula Heißmann und Andreas Heilmann
S. Fischer, Oktober 2014
400 Seiten
22,99 € (Hardcover)
ISBN: 9783100102331

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