Die andere Seite der Realität beginnt als Kriminalroman im viktorianischen London. Die Polizei arbeitet gerade an einem der wohl berühmtesten Fälle der Kriminalgeschichte. Jack the Ripper treibt im Bezirk Whitechapel sein Unwesen und der Protagonist des Romans, Inspector Seth Aspen macht Jagd auf ihn. Er verfolgt die Spur des Frauenmörders bis über den Großen Teich und sogar darüber hinaus. Denn während seiner Jagd tritt er in eine andere Welt über, eben auf Die andere Seite der Realität. Er befindet sich plötzlich in einer Fantasywelt, wo zwar auch Menschen leben, die aber allesamt magische Fähigkeiten besitzen. Er freundet sich dort mit einigen Personen an, u.a mit so genannten Shadowwalkers, die schnell - durch die Schatten – von einem Ort zum nächsten gelangen, und Gestaltwandler, wie z. B. eine Art Werwolf. Aber natürlich ist Seth Aspen auch weiterhin dem Ripper auf der Spur, der seine Wurzeln auf dieser Seite der Realität hat. Dazu lernt auch einiges über sich selbst kennen.
Soweit kurz und knapp die Storyline von A.P. Glonns Roman, der 2014 im Luzifer Verlag erschienen ist. Der Roman hat seine Stärken im ersten Teil, als die Mörderjagd der Londoner Polizei beschrieben wird. Das ist richtig gut gemacht. A.P. Glonn fängt die Atmosphäre des nebelverhangenen Londons im ausgehenden 19. Jahrhundert wunderbar ein, tut das aber in einer Sprache, die keineswegs altbacken ist. Da verzeiht man es auch, wenn manche Modernismen in der wörtlichen Rede für die Zeit unpassend wirken. Wenn sie diesen Weg weiterbeschritten hätte, wäre vermutlich ein guter bis sehr guter klassischer Kriminalroman daraus werden können.
Leider ist sie aber abgebogen. Und zwar in meinen Augen auf die falsche Seite. Denn nachdem sich der Protagonist auf der anderen Seite der Realität wiederfindet, findet sich der Leser einmal in einer Fantasywelt wieder, die kaum ein Klischee auslässt. Die Liebesgeschichte, die sich zwischen Seth Aspen und Aelin ist ebenso vorhersehbar wie kitschig, der Sidekick Duncan Lyall soll wohl ab und an für Humor sorgen, tut es aber auf erschreckend niedrigem Niveau. Kurz gesagt die letzten zwei Drittel des Romans sind für mich ein Prototyp dessen, was ich unter schlechter Fantasy verstehe. Und um so etwas zu umgehen, mache ich sonst eher einen Bogen um das Genre.
Dazu kommen noch ein paar logische Ungereimtheiten. Zu Beginn des Buches ziehen sich Seth Aspen und sein Mitbewohner (und der vermeintliche Erzähler der Geschichte) damit auf, dass der eine vom anderen zu Beginn ihrer Bekanntschaft dachte, er wäre schwul. Später dann,als Aelin Seth über seine Wohnsituation mit einem anderen Mann ausfragt, wird dem Leser noch einmal auf gänzlich andere Weise umständlich erklärt, dass Seth Homosexualität nicht fremd ist. Warum nur? Das war doch schon klar.
Dann wundert sich unser Protagonist, dass derjenige, der ihm den Dolch zugesteckt hat, der ihm eine Flucht ermöglicht, ihn nicht verfolgt, sondern ihm geradezu bei seiner Flucht hilft. Der gute Insepector Aspen wird eigentlich als recht pfiffiges Kerlchen dargestellt, also verwundert es schon sehr, warum er solch einfache Zusammenhänge erst viel später erkennt.
A.P. Glonn: Die andere Seite der Realität
Cover: Timo Kümmel
Luzifer Verlag, August 2014
525 Seiten
14,95 € (Paperback)
ISBN: 9783943408409
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