Donnerstag, 5. Februar 2015

Christopher Fowler: Der Höllenexpress



Es gibt internationale Autoren, da fragt man sich, warum zum Teufel wird dieser Mist ins Deutsche übersetzt. Ich will jetzt keine Namen nennen, aber mir würden auf Anhieb einige einfallen. Und dann gibt es Autoren, da fragt man sich, warum wird nicht jedes verdammte Buch von denen ins Deutsche übersetzt. Christopher Fowler gehört eindeutig in diese Kategorie. Anfang der 1990er Jahre erschienen seine ersten Romane noch bei Bastei Lübbe. Das waren 1989 Über den Dächern von London (Roofworld, 1988), 1992 Die rote Braut (Red Bride, 1992), 1993 Runen (Rune, 1990), 1994 Die Gilde der Nacht (Darkest Day, 1993) und 1995 Spanky (Spanky, 1994). Seitdem herrschte absolute Flaute, was deutschsprachige Veröffentlichungen angeht. Das lag aber nicht daran, dass Fowler seitdem nichts mehr geschrieben hat. Im Gegenteil, in schöner Regelmäßigkeit erscheint im Vereinigten Königreich ein neuer Roman oder gar ein Band mit Kurzgeschichten. Und nicht nur das: Die Sachen sind auch noch erfolgreich. Allen voran seine Serie um die beiden Detektive Bryant & May, die bei der Peculiar Crimes Unit (Abteilung für sonderbare Verbrechen) arbeiten, von der es mittlerweile zehn Bücher gibt und die nächsten in den Startlöchern stehen. Und ist eines dieser Bücher, für die zweifelsohne ein Markt in Deutschland vorhanden wäre – eher als für seine Storysammlungen und Horrorromane vermutlich – bei einem deutschen Verlag erschienen? Nein.

Umso erfreulicher, dass sich der Luzifer Verlag seines Ende 2011 erschienenen Romans Hell Train angenommen hat und ihn in der Übersetzung von Stefan Mommertz Ende 2014 dem deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht hat. Das einzige Manko ist, dass sich nach der Lektüre dieses sehr guten Romans ein gewisses Gefühl der Enttäuschung einstellt. Weil man nämlich, merkt, was für ein großartiger Autor einem vorenthalten wird, wenn man nicht auf die Originalfassungen zurückgreifen kann oder möchte. Ich hege noch ein klein wenig Hoffnung, dass sich irgendwann ein Verlag, an seine Bryant & May-Serie heranwagt. Aber für seine Kurzgeschichten und seine beiden autobiographischen Bücher (Paperboy und Film Freak) sehe ich eher schwarz. Für die beiden Romane, die nach Hell Train abseits der Bryant & May-Serie erschienen sind (Plastic und Nyctophobia) wünsche ich Der Höllenexpress einen so großen Erfolg, dass Steffen Janssen vom Luzifer Verlag gar nicht anders kann, als diese auch zu veröffentlichen.
Der Titel seines zweiten autobiographischen Buches deutet es schon an. Fowler ist ein Film Freak, aber nicht nur das: Er hat neben dem Schreiben auch noch ein zweites Standbein. Er gründete eine der erfolgreichsten britischen Filmmarketingfirmen überhaupt und verdiente sich mit Filmplakaten und Trailern eine goldene Nase. Er arbeitete mit vielen bekannten Filmgrößen zusammen. Aber trotz- und vor alledem ist er wohl immer noch ein Filmliebhaber. Das erklärt dann auch, dass Der Höllenexpress eigentlich eine Liebeserklärung an ein bestimmtes britisches Filmstudio ist.

Schon die dem Roman vorangestellten Zitate von Peter Cushing und Christopher Lee zeigen wohin die Reise gehen wird und nach dem ersten Kapitel besteht kein Zweifel mehr. Shane Carter, ein Drehbuchautor, der gerade (Mitte der 1960er Jahre) bei Roger Cormans AIP in Ungnade gefallen ist, bekommt den Auftrag für die legendären Hammer Studios ein Drehbuch zu schreiben, das den langsamen, aber stetigen Niedergang des Filmstudios beenden soll. Und das beschreibt dann schon die Rahmenhandlung des Romans. Der Leser liest vom zweiten Kapitel an Carters Drehbuch in Romanform, unterbrochen nur von wenigen Sequenzen der Rahmenhandlung, wo auch die Hammer-Größen Christopher Lee und Peter Cushing ihre Auftritte haben, wenngleich man sie natürlich auch während er Fahrt des Höllenexpress vor Augen hat, weil man genau weiß, welche Rollen ihnen in dem Drehbuch zugedacht sind.

Die Binnenhandlung beginnt in dem osteuropäischen Städtchen Chelmsk. Dorthin verirrt sich während des ersten Weltkriegs ein englischer Abenteurer namens Nicholas Castleford. Er trifft dort die schöne Wirtstochter Isabella, die er innerhalb eines Abends soweit bezirzen kann, dass sie mit ihm Chelmsk verlässt. Aber nur noch ein Zug verlässt den Ort an diesem Abend und Isabella weiß, dass es kein gutes Ende nehmen wird, wenn man ihn diesen Zug mit Namen Ärzengel (im Original: Arkangel) einsteigt. Die Umstände zwingen sie trotzdem dazu. Sie sind aber nicht die einzigen Gäste die in Chelmsk zusteigen. Einem britischen Ehepaar, Thomas und Miranda, bleibt auch nichts anderes übrig als diesen Zug zu nehmen. An Bord gibt es erste Überraschungen, da auf keiner Streckenkarte die Endstation eingezeichnet ist. Und schnellt wird den vieren klar, das mit den anderen anderen Passagieren irgendetwas nicht stimmt. Dazu kommt Isabella Wissen aus alten Geschichten: den Mitreisenden stehen kaum lösbare Prüfungen bevor, um ihr Seelenheil zu retten.

Dieser Roman sticht wohltuend aus dem Extrem- und Zombiehorror heraus, mit dem der Markt in der letzten Zeit überschwemmt wurde. Keine stupiden Untoten bevölkern den Ärzengel und es werden auch keine Foltersequenzen bis ins kleinste Detail beschreiben, auch wenn das Buch nicht mit Splatterszenen geizt. Was hier vor allem aufgebaut wird, ist Atmosphäre, und zwar die Atmosphäre der alten Hammer-Filme. Natürlich ist das Buch gewalttätiger als alle Hammer-Filme zusammen. Aber trotzdem hat man bei jeder Seite des Romans den Hammer-Film vor Augen, der nach diesem „Drehbuch“ gedreht worden wäre. Angefangen von der osteuropäischen Locations bis hin zu den Figuren, in denen man die bekannten Schauspieler jener Zeit direkt vor sich sieht, atmet der Film das Kolorit der britischen Horrorfilme der 1950er und 1960er Jahre. Wie Fowler das einfängt ist meisterlich.

Das allein wäre zwar schon genug, um von einem sehr guten Roman zu sprechen, aber es kommt noch etwas dazu. Die Hauptfiguren müssen, wie schon erwähnt, Prüfungen absolvieren. Und in diesen Prüfungen werden ihnen ihre schlechten Eigenschaften pointiert vorgeführt. Ob sie in ihrem – falschen? – Trott weitermachen oder nicht, bestimmt über ihr Weiterleben. So kriegt man so ganz nebenbei, einige moralische Fragestellungen vor den Latz geknallt, über die sich ein weiteres Nachdenken lohnen dürfte.

Womit wir es also bei Der Höllenexpress zu tun haben, ist nichts anderes, als einem Horrorroman, der zeigt, was alles in diesem Genre steckt und auch, was es ausmacht. Christopher Fowler beantwortet die Frage, ob er immer noch Horrorgeschichten schreibt, in seinem Blog so: „I‘m certainly no fan of kitchen sink drama I like stories that soar into strangeness rather than ones that faithfully replicate the ordinariness of life.“ (Quelle: http://www.christopherfowler.co.uk/blog/faq, zuletzt besucht am 05.02.2015 - zur Erläuterung der Wikipediaeintrag zu Kitchen Sink Realism). Und das ist es, was neben allen Unterhaltungswert gute Horrorliteratur ausmacht. Die Seltsamkeiten, die Abnormitäten von Horrorgeschichten verleiten einen oftmals eher über manche Sachverhalte nachzudenken, als deren bloße realistische Abbildung.

Fowler sagt in seinem Blog noch andere kluge Sachen über Genreliteratur: „I dont appreciate the ghettoisation of the genre, and many of the stories I consider to be horrific do not fit into easy horror categories.“ (Quelle: http://www.christopherfowler.co.uk/blog/faq, zuletzt besucht am 05.02.2015) Das spricht mir aus der Seele. Vieles, was nicht als Horrorliteratur eingestuft wird, ist der pure Horror. Trotzdem wird über das, was als Horrorliteratur eingestuft wird, sehr oft der Stab gebrochen: Das ist doch alles nur trivialer Schund. Klar, es gibt ihn auch, diesen trivialen Schund, aber den gibt es in der Literatur überall. Doch wenn man sich mal die Mühe macht und ein bisschen tiefer gräbt, dann findet man solche Perlen wie Der Höllenexpress. Das gilt natürlich auch für beide Seiten. Man sollte sich als Leser nicht nur auf ein Genre versteifen, sondern durchaus auch einmal über den Tellerrand schauen. So ein Blick lohnt sich immer.

Aber genug der Abschweifungen, zurück zum eigentlichen Thema: Alle horror-affinen Leser erhalten von mir einen Lesebefehl. Der Höllenexpress zählt zum Besten, was in letzter Zeit im Genre veröffentlicht wurde. Damit verbunden ist eine Aufforderung an die deutschen Verlage gefälligst bald weitere Sachen von Fowler ins Deutsche zu übersetzen. (Wie wäre es beispielsweise mit der Kurzgeschichte Arkangel, die 2008 in der Anthologie Exotic Gothic 2 erschienen ist, und so etwas wie die Vorgeschichte des Höllenexpress ist? – Entschuldigung, ich habe vergessen, dass sich Kurzgeschichten nicht verkaufen – also vergessen wir die Frage ganz schnell wieder). Einen Leser hätten alle weiteren deutschen Fowler-Veröffentlichungen schon mal sicher, denn wenn sie nur halb so gut geraten sind wie Der Höllenexpress, wären sie immer noch besser als vieles, was man sonst so zu lesen bekommt. Ich will mehr von Fowler. Also tut mir bitte den Gefallen und macht diesen Roman zu einem Erfolg. (14/15)

Christopher Fowler: Der Höllenexpress
Titel der britischen Originalausgabe: HELL TRAIN (2011)
Übersetzung:  Stefan Mommertz
Cover: Mark Freier
Luzifer Verlag, Januar 2015
354 Seiten
13,95 € (Paperback)
ISBN: 9783958350267

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