Es gibt internationale Autoren,
da fragt man sich, warum zum Teufel wird dieser Mist ins Deutsche übersetzt.
Ich will jetzt keine Namen nennen, aber mir würden auf Anhieb einige einfallen.
Und dann gibt es Autoren, da fragt man sich, warum wird nicht jedes verdammte
Buch von denen ins Deutsche übersetzt. Christopher Fowler gehört eindeutig in
diese Kategorie. Anfang der 1990er Jahre erschienen seine ersten Romane noch
bei Bastei Lübbe. Das waren 1989 Über den
Dächern von London (Roofworld,
1988), 1992 Die rote Braut (Red Bride, 1992), 1993 Runen (Rune, 1990), 1994 Die Gilde
der Nacht (Darkest Day, 1993) und
1995 Spanky (Spanky, 1994). Seitdem herrschte absolute Flaute, was
deutschsprachige Veröffentlichungen angeht. Das lag aber nicht daran, dass
Fowler seitdem nichts mehr geschrieben hat. Im Gegenteil, in schöner Regelmäßigkeit
erscheint im Vereinigten Königreich ein neuer Roman oder gar ein Band mit
Kurzgeschichten. Und nicht nur das: Die Sachen sind auch noch erfolgreich.
Allen voran seine Serie um die beiden Detektive Bryant & May, die bei der
Peculiar Crimes Unit (Abteilung für sonderbare Verbrechen) arbeiten, von der es
mittlerweile zehn Bücher gibt und die nächsten in den Startlöchern stehen. Und
ist eines dieser Bücher, für die zweifelsohne ein Markt in Deutschland
vorhanden wäre – eher als für seine Storysammlungen und Horrorromane vermutlich
– bei einem deutschen Verlag erschienen? Nein.
Umso erfreulicher, dass sich der
Luzifer Verlag seines Ende 2011 erschienenen Romans Hell Train angenommen hat
und ihn in der Übersetzung von Stefan Mommertz Ende 2014 dem deutschsprachigen
Publikum zugänglich gemacht hat. Das einzige Manko ist, dass sich nach der Lektüre
dieses sehr guten Romans ein gewisses Gefühl der Enttäuschung einstellt. Weil man nämlich, merkt, was für ein großartiger
Autor einem vorenthalten wird, wenn man nicht auf die Originalfassungen zurückgreifen
kann oder möchte. Ich hege noch ein klein wenig Hoffnung, dass sich irgendwann
ein Verlag, an seine Bryant & May-Serie heranwagt. Aber für seine
Kurzgeschichten und seine beiden autobiographischen Bücher (Paperboy und Film Freak) sehe ich eher schwarz. Für die beiden Romane, die nach
Hell Train abseits der Bryant & May-Serie erschienen sind (Plastic und Nyctophobia) wünsche ich Der
Höllenexpress einen so großen Erfolg, dass Steffen Janssen vom Luzifer
Verlag gar nicht anders kann, als diese auch zu veröffentlichen.
Der Titel seines zweiten
autobiographischen Buches deutet es schon an. Fowler ist ein Film Freak, aber nicht nur das: Er hat neben dem Schreiben
auch noch ein zweites Standbein. Er gründete eine der erfolgreichsten
britischen Filmmarketingfirmen überhaupt und verdiente sich mit Filmplakaten
und Trailern eine goldene Nase. Er arbeitete mit vielen bekannten Filmgrößen
zusammen. Aber trotz- und vor alledem ist er wohl immer noch ein Filmliebhaber.
Das erklärt dann auch, dass Der Höllenexpress eigentlich eine Liebeserklärung an ein
bestimmtes britisches Filmstudio ist.
Schon die dem Roman vorangestellten
Zitate von Peter Cushing und Christopher Lee zeigen wohin die Reise gehen wird
und nach dem ersten Kapitel besteht kein
Zweifel mehr. Shane Carter, ein Drehbuchautor, der gerade (Mitte der 1960er
Jahre) bei Roger Cormans AIP in Ungnade gefallen ist, bekommt den Auftrag für
die legendären Hammer Studios ein Drehbuch zu schreiben, das den langsamen, aber stetigen Niedergang
des Filmstudios beenden soll. Und das beschreibt dann schon die Rahmenhandlung
des Romans. Der Leser liest vom zweiten Kapitel an Carters Drehbuch in
Romanform, unterbrochen nur von wenigen Sequenzen der Rahmenhandlung, wo auch die Hammer-Größen Christopher Lee und Peter Cushing ihre Auftritte haben, wenngleich
man sie natürlich auch während er Fahrt des Höllenexpress vor Augen hat, weil
man genau weiß, welche Rollen ihnen in dem Drehbuch zugedacht sind.
Die Binnenhandlung beginnt
in dem osteuropäischen Städtchen Chelmsk. Dorthin verirrt sich während des
ersten Weltkriegs ein englischer Abenteurer namens Nicholas Castleford. Er
trifft dort die schöne Wirtstochter Isabella, die er innerhalb eines Abends
soweit bezirzen kann, dass sie mit ihm Chelmsk verlässt. Aber nur noch ein Zug
verlässt den Ort an diesem Abend und Isabella weiß, dass es kein gutes Ende
nehmen wird, wenn man ihn diesen Zug mit Namen Ärzengel (im Original: Arkangel)
einsteigt. Die Umstände zwingen sie trotzdem dazu. Sie sind aber nicht die
einzigen Gäste die in Chelmsk zusteigen. Einem britischen Ehepaar, Thomas und
Miranda, bleibt auch nichts anderes übrig als diesen Zug zu nehmen. An Bord
gibt es erste Überraschungen, da auf keiner Streckenkarte die Endstation
eingezeichnet ist. Und schnellt wird den vieren klar, das mit den anderen
anderen Passagieren irgendetwas nicht stimmt. Dazu kommt Isabella Wissen aus
alten Geschichten: den Mitreisenden stehen kaum lösbare Prüfungen bevor, um ihr Seelenheil zu retten.
Dieser Roman sticht wohltuend aus
dem Extrem- und Zombiehorror heraus, mit dem der Markt in der letzten Zeit
überschwemmt wurde. Keine stupiden Untoten bevölkern den Ärzengel und es werden
auch keine Foltersequenzen bis ins kleinste Detail beschreiben, auch wenn das
Buch nicht mit Splatterszenen geizt. Was hier vor allem aufgebaut wird, ist
Atmosphäre, und zwar die Atmosphäre der alten Hammer-Filme. Natürlich ist das Buch
gewalttätiger als alle Hammer-Filme zusammen. Aber
trotzdem hat man bei jeder Seite des Romans den Hammer-Film vor Augen, der nach
diesem „Drehbuch“ gedreht worden wäre. Angefangen von der osteuropäischen
Locations bis hin zu den Figuren, in denen man die bekannten Schauspieler jener
Zeit direkt vor sich sieht, atmet der Film das Kolorit der britischen
Horrorfilme der 1950er und 1960er Jahre. Wie Fowler das einfängt ist
meisterlich.
Das allein wäre zwar schon genug,
um von einem sehr guten Roman zu sprechen, aber es kommt noch etwas dazu. Die
Hauptfiguren müssen, wie schon erwähnt, Prüfungen absolvieren. Und in diesen
Prüfungen werden ihnen ihre schlechten Eigenschaften pointiert vorgeführt. Ob
sie in ihrem – falschen? – Trott weitermachen oder nicht, bestimmt über ihr Weiterleben. So kriegt man so ganz nebenbei, einige moralische Fragestellungen
vor den Latz geknallt, über die sich ein weiteres Nachdenken lohnen dürfte.
Womit wir es also bei Der Höllenexpress zu tun haben, ist nichts
anderes, als einem Horrorroman, der zeigt, was alles in diesem Genre steckt und
auch, was es ausmacht. Christopher Fowler beantwortet die Frage, ob er immer
noch Horrorgeschichten schreibt, in seinem Blog
so: „I‘m certainly no fan of kitchen sink drama I like stories that soar into strangeness rather than ones that faithfully replicate the ordinariness of life.“ (Quelle: http://www.christopherfowler.co.uk/blog/faq, zuletzt besucht am 05.02.2015 - zur Erläuterung der Wikipediaeintrag zu Kitchen Sink Realism). Und das ist es, was neben allen Unterhaltungswert gute
Horrorliteratur ausmacht. Die Seltsamkeiten, die Abnormitäten von Horrorgeschichten verleiten einen
oftmals eher über manche Sachverhalte nachzudenken, als deren bloße realistische
Abbildung.
Fowler sagt in seinem Blog noch andere kluge Sachen über Genreliteratur: „I dont appreciate the ghettoisation of the genre, and many of the stories I consider to be horrific do not fit into easy horror categories.“ (Quelle: http://www.christopherfowler.co.uk/blog/faq, zuletzt besucht am 05.02.2015) Das spricht mir aus der Seele. Vieles, was nicht als Horrorliteratur eingestuft wird, ist der pure Horror. Trotzdem wird über das, was als Horrorliteratur eingestuft wird, sehr oft der Stab gebrochen: Das ist doch alles nur trivialer Schund. Klar, es gibt ihn auch, diesen trivialen Schund, aber den gibt es in der Literatur überall. Doch wenn man sich mal die Mühe macht und ein bisschen tiefer gräbt, dann findet man solche Perlen wie Der Höllenexpress. Das gilt natürlich auch für beide Seiten. Man sollte sich als Leser nicht nur auf ein Genre versteifen, sondern durchaus auch einmal über den Tellerrand schauen. So ein Blick lohnt sich immer.
Christopher Fowler: Der Höllenexpress
Titel der britischen Originalausgabe: HELL TRAIN (2011)
Übersetzung: Stefan Mommertz
Cover: Mark Freier
Luzifer Verlag, Januar 2015
354 Seiten
13,95 € (Paperback)
ISBN: 9783958350267
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