Donnerstag, 19. Februar 2015

Tim Curran: Skin Medicine - Die Letzte Grenze



Tim Currans Bücher werden seit 2011 in Deutschland verlegt. Zuerst erschienen an Lovecraft angelehnte Kurzgeschichten als Sonderband  im Festa Verlag (Bis dass die Zeit den Tod besiegt) und eine etwas längere Novelle im Atlantis Verlag (Der Leichenkönig). In den folgenden zwei Jahren erschienen drei von Currans Romanen im Festa Verlag: Zerfleischt, Verseucht und Dead Sea. Im letzten Jahr erschienen seine Kurzromane Leviathan und Kopfjäger einzeln als E-Books oder gedruckt mit Wendecover im Luzifer Verlag. Dort erschien auch die neueste Curran-Übersetzung Skin Medicine – Die letzte Grenze. Aber es ist das bislang älteste Buch von ihm, das in deutscher Sprache erschien. Die amerikanische Erstausgabe Skin Medicine brachte Hellbound Books in einer limitierten Fassung schon 2004 heraus. 2009 erlebte der Roman eine Neuauflage bei Severed Press, diesmal ohne Limitierung.

Schon mit seinen bisher in deutscher Sprache erschienen Werken zeigte sich, dass Curran eine der interessantesten und auch vielseitigsten neuen Stimmen des amerikanischen Horrors ist. Von eher klassischen an Lovecraft angelehnten Geschichten bis zur knallharten Dystopie hat man schon einiges von ihm geboten bekommen. Seine Romane wurden von der deutschen Horrorkritik aber auch durchaus kontrovers besprochen. Torsten Scheib beispielsweise attestierte bei Fantasyguide.de dem Roman Verseucht: „Es ist … ein Meisterwerk.“ (Quelle: http://fantasyguide.de/12788/) Dahingegen beschied Andreas Wolf einem anderen Roman Currans: „Zerfleischt gehört jedenfalls nicht ins Buchregal, sondern in die blaue Tonne“ (Quelle: phantastisch 47, 3/2012, Atlantis Verlag, S. 53). Ich habe beide erwähnten Romane gelesen und schließe mich eher der Meinung Scheibs an, obwohl ja auch Wolf  zugibt, „dass Curran durchaus gut schreiben kann“. (Quelle: s.o.).
Mit Skin Medicine – Die letzte Grenze legt uns Curran einen historischen Horror-Roman , genauer gesagt einen Horror-Western, vor. Er verbindet geschickt gängige Westernthemen mit den Stilmitteln des Horrors und schafft es so, das sei hier schon einmal verraten, dem genre-affinen Leser ein großes Vergnügen zu bereiten.  Der Roman beginnt damit, dass der Sarg von James Lee Cobb im Jahr 1882 in die Minenstadt Whisper Lake transportiert wird. Wie sich schnell herausstellt ist Cobb nicht wirklich tot, aber auch nicht mehr richtig lebendig. Dann gibt es einen Cut und es wird die Geschichte des Kopfgeldjägers Tyler Cabe erzählt, der ein paar Monate nach dem Sargtransport in Whisper Lake einreitet, um einen Serienkiller, den „City Strangler“, dingfest zu machen, der sich hauptsächlich an Damen aus dem horizontalen Gewerbe vergeht. Er trifft in Sheriff Jackson Dirker einen alten „Bekannten“ wieder. Nordstaatler Dirker hat dem Südstaatler Cabe im Bürgerkrieg einige Wunden zugefügt, deren Narben das Gesicht des Kopfgeldjägers immer noch zieren. Nun ist in Whisper Lake nicht nur die Gefahr durch den „City Strangler“ zugegen, sondern es spielen sich auch noch andere Verbrechen in der Umgebung der Mine ab. Teile der Bevölkerung bezichtigen die benachbarten Mormonen für diese Untaten verantwortlich zu sein und stellen eine Bürgerwehr auf. Aber der Leser weiß mehr, denn alles fing erst an, nachdem Cobbs Sarg in den Ort geschafft wurde.

Tim Curran erzählt in Skin Medicine – Die letzte Grenze eine komplexe Geschichte. Er schweift immer wieder in die Vergangenheit der einzelnen Figuren ab, und das nicht nur bei den Haupt-Prota- und -Antagonisten. Auch das Verhalten von Personen, die nur eine relativ untergeordnete Rolle spielen, wird anhand von mehr oder weniger kurzen Einschüben, aus der Vergangenheit heraus erläutert. Das birgt natürlich die Gefahr, schnell in Langeweile auszuarten. Aber weit gefehlt: die Vergangenheit der  Figuren ist in den meisten Fällen so interessant oder so skurril, dass die Einschübe, die nicht unbedingt wichtig für den Fortgang der Geschichte sind, beim Lesen unheimlichen Spaß (oder Spannung, oder Abscheu) bereiten.

Die gängigen Westernklischees werden auch bedient. Die Frauen sind entweder Huren oder Heilige (Dirkers Frau Janice), der Tod eines Familienmitglieds will vom außerhalb der Stadt lebenden (bösen) Farmer gerächt werden, wilde Saloonszenen wechseln sich ab mit Gefängsnisszenen. Ein schlauer alter Indianer und ein versoffener Verrückter fehlen auch nicht. Kurzum: wer – wie ich – mit den alten Westernklassikern im Fernsehen groß geworden ist, wird seine helle Freude an diesem Aspekt der Handlung haben.

Auch der Gorefaktor kommt nicht zu kurz. Zwar läuft es alles in allem nicht so brutal und heftig wie in Currans oben erwähnten Werken Zerfleischt und Verseucht ab, aber Skin Medicine bietet schon etwas derbere Horrorkost ohne aber in den Extrembereich abzudriften. Natürlich liegen die Ursprünge der dämonischen Umtriebe James Lee Cobbs und Konsorten in indianischen Mythen. Das bietet sich an und passt natürlich wunderbar in das Setting.

Alles, was ich bislang beschrieben habe, reicht natürlich aus, um aus Skin Medicine - Die letzte Grenze einen erstklassigen Horror-Roman zu machen. Aber es ist bei Weitem noch nicht alles, was der Roman zu bieten hat. Durch die beiden Protagonisten, die während des Bürgerkriegs erbitterte Gegner waren, werden auch noch Fragen bezüglich Schuld und Vergebung im Allgemeinen und im Kriegsfall im Speziellen aufgeworfen. Die gegen die neu in der Umgebung siedelnden Mormonen (Whisper Lake spielt im Utah-Territorium) errichtete Bürgerwehr spiegelt die Angst vor dem Fremden wider, die besonders in Krisenzeiten Konjunktur hat, wenn man einen Schuldigen für die eigene missliche Lage sucht. Und was Curran für eine Idee bei dem sich um den „City Strangler“ drehenden Nebenstrang der Geschichte präsentiert, zeugt zum einen für einen für einen speziellen Sinn für Humor und zum anderen für ein brilliantes Geschick beim Verweben von historischer Realität und Fiktion.

Dieser Roman hat es wirklich geschafft, mich zu begeistern. Allerdings muss ich auch auf eine kleine Sache hinweisen: Der Fehlerteufel hat sich ein ums andere Mal in das Buch hineingeschlichen. Es waren zwar nicht so viele Fehler, dass es am Gesamtvergnügen, den das Buch macht, irgendetwas ändert, aber doch schon so viele, dass sie auffielen. Mal fehlte offensichtlich ein Wort, mal waren Buchstaben vertauscht und manch Komma- bzw. Nicht-Kommasetzung war schon recht abenteuerlich. Das bin ich in der Form vom Luzifer Verlag bislang nicht gewohnt und da darf man schon sorgfältigere Arbeit erwarten.

Aber abgesehen davon war das jetzt der dritte Roman des Verlags hintereinander, der in der obersten Unterhaltungsliga spielt (siehe meine Rezensionen zu Die letzte Plage und Der Höllenexpress), das macht den Totalausfall (siehe meine Rezension zu Wilder Fluss) mehr als wieder wett und zeigt, dass der Luzifer Verlag in Sachen Horrorliteratur sich ganz eindeutig als Nummer Zwei auf dem deutschen Markt etabliert hat – weit vor allen Großverlagen und anderen Kleinverlagen (Voodoo Press ist vielleicht ein bisschen näher dran, aber da möchte ich erst die Neuerscheinungen des Frühjahrs abwarten). Und der Abstand zum Genre-Platzhirsch – dem Festa Verlag – ist mit den letzten Veröffentlichungen nach meinem Empfinden sogar geschrumpft. Respekt, was Steffen Janssen da in so kurzer Zeit (den Verlag gibt es erst seit 2011) auf die Beine gestellt hat.  

Skin Medicine – Die letzte Grenze bietet genau das, was einen moderner Horror-Roman ausmachen muss. Er ist erschreckend und gruselig, aber trotzdem scheint immer wieder  augenzwinkernder Humor durch. Er setzt dabei nicht nur auf den Faktor Ekel und Gewalt  und gibt dem Leser – wenn man den möchte – noch ein paar Gedanken zu relevanten realen Themen mit auf den Weg. Wegen Romanen dieser Art bin ich zu einem Fan des Genres geworden und freue mich immer wieder, eine solche Perle entdecken zu dürfen. (13/15)

Tim Curran: Skin Medicine - Die letzte Grenze
Titel der amerikanischen Originalausgabe: SKIN MEDICINE (2004)
Übersetzung:  Raimund Gerstäcker
Cover & Umschlaggestaltung: Michael Schubert
Luzifer Verlag, Januar 2015
390 Seiten
13,95 € (Paperback)
ISBN: 9783958350281

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