Donnerstag, 12. Februar 2015

Ian Tregillis: Der kälteste Krieg


Nachdem man den zweiten Teil der Milkweed-Trilogie von Ian Tregillis gelesen hat, muss man umso trauriger sein, dass der  Festa Verlag seinen Imprint Deltus.de schon wieder einstampft. Es wird nur noch ein Buch erscheinen – zum Glück ist es der Abschlussroman der Trilogie: Das notwendige Böse – und dann ist nach elf Büchern schon wieder Schluss mit dem Experiment. Die übrigen angekündigten Titel werden aber wohl unter dem Festa-Logo erscheinen und der schon fast erschienene Roman Die Leben des Tao von Wesley Chu wird bei S. Fischer erscheinen, ich vermute mal im nächsten Jahr bei deren neuen Phantastik-Ableger Fischer Tor. Also muss man sich nicht zu sehr grämen. Schade ist es trotzdem, denn in dem auf die Bereiche Science Fiction und Fantasy sowie Endzeit abgestimmten Programm fanden sich einige Perlen und ich glaube auch, dass dort noch Einiges zu erwarten gewesen wäre. Aber manchmal soll es halt nicht sein und dass es nicht so einfach ist, eine neue Marke auf dem Markt zu etablieren, dürfte klar sein.

Freuen wir uns also, dass Deltus.de die Milkweed-Trilogie auf den deutschsprachigen Markt gebracht hat. Schon der erste Teil Saat des Unheils hatte mich mitgerissen. Er ist in meiner persönlichen Top Ten des letzten Jahres gelandet.  Der im Genre der Alternativgeschichte angesiedelte Roman spielt zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs. Die Deutschen haben sich von einem verrückten Professor die fast perfekten Soldaten bauen lassen, die „Götterelektronengruppe“, bestehend aus Menschen mit Superheldenfähigkeiten. Die Briten bekämpften sie mit Warlocks, die eine alte Macht, die Eidola, beschworen konnten, um ihnen zu helfen. Carsten Kuhr bescheinigte dem Roman bei PhantastikNews.de: „Das liest sich spannend und packend auf einen Rutsch durch, nutzt Thriller-Elemente, um das Tempo und die Dramatik hochzuhalten, und unterhält bestens.“ (Quelle: http://www.phantastiknews.de/joomla/index.php?option=com_content&view=article&id=9340:ian-tregillis-saat-des-unheils-buch&catid=42:rezensionen&Itemid=62) Und dem kann ich nur beipflichten. Ich würde sogar noch weitergehen und Cory Doctorow recht geben, der über Tregillis bei boingboing.net Folgendes schreibt: „Tregillis writes and plots beautifully. The characters -- twisted German psychics, bitter warlocks, the brutal calculators of the British intelligence apparat -- are complex, textured, surprising. The physical descriptions are wonderful. And the plot is relentless, a driving adventure story with intrigue, battle, sacrifice, and betrayal.“ (Quelle: http://boingboing.net/2010/04/13/bitter-sands-alterna.html. Dazu sollte man vielleicht sagen, dass Doctorow Tregillis mal bei einem Workshop unterrichtete. Aber trotzdem hat er so etwas nicht über jeden seiner Schüler verlauten lassen.
Der kälteste Krieg spielt 1963, also gut 20 Jahre nach den letzten Geschehnissen von Saat des Unheils. Der Zweite Weltkrieg ist nicht ganz so zu Ende gegangen, wie wir es in der Schule gelernt haben. Die Sowjetunion konnte ihren Machtbereich viel weiter nach Westen ausbauen und Großbritannien ist so etwas wie die letzte nicht-kommunistische Bastion Europas. Die wichtigsten Mitglieder der Götterelektronengruppe sind in sowjetische Gefangenschaft geraten und die UdSSR konnte aufgrund dessen und den erbeuteten Unterlagen ihrerseits diese Art Supermenschen formen und verfeinern. Gretel, derjenigen der deutschen Supermenschen, die in die Zukunft sehen kann, gelingt zusammen mit ihrem Bruder Klaus die Flucht nach London, wo sie auf ihre einstigen Gegner trifft, die teilweise vor dem Scherbenhaufen ihres Lebens stehen, und bietet auf ihre Art und Weise Hilfe an. Aber die Frage ist, was sie bezweckt, denn die Milkweed-Abteilung des MI6 ist sich sicher, dass es ihr primär nicht um den Kampf der Briten gegen die Russen geht.

Viel mehr kann ich vom Inhalt hier gar nicht berichten, da ich sonst auf einige Geschehnisse aus dem ersten Band der Serie eingehen müsste und ich nicht denjenigen das Vergnügen verderben möchte, die diesen Band noch nicht kennen. Aber diesen Zustand sollte man sowieso schleunigst verändern. Der Titel und die kurze Inhaltsangabe lassen es schon vermuten, es geht im Mittelstück der Serie nicht zu sehr um direkte Kriegshandlungen, sondern eher um die Auswirkungen, die der Zweite Weltkrieg auf die Nachkriegszeit hatte. Es ist in weiten Teilen noch mehr ein Agententhriller, als es der erste Band schon ist. So ist Saat des Unheils auch um einiges actionreicher. Aber trotzdem ist auch Der kälteste Krieg eine wunderbare Genre-Melange aus Science Fiction, Fantasy, Horror und Thriller, die in allerbester Form unterhaltsam ist. Im Mittelteil gibt es zwar einige Längen, aber das Ende entschädigt dafür zunächst mit fulminanten Actioneinlagen und dann mit einer Wendung, die einen nahezu zwingt, den dritten Teil auch noch zu lesen.

Die Charaktere sind wieder mehrdimensional angelegt. Im Gegensatz zu Saat des Unheils finden sich in Der kälteste Krieg, wo der Krieg aus fast allen Figuren gewissenlose Bestien gemacht hat, sogar reine Sympathieträger. Und zwar gerade dort, wo man sie zunächst nicht erwartet. Und der Tatsache, dass im Roman mit Gretel eine Figur vorhanden ist, die durch ihre Hellsichtigkeit mehr vom Fortgang der Geschichte weiß, als der Leser, wird mit einigen raffinierten Tricks Rechnung getragen. Ich habe ein ums andere Mal im ersten Band der Trilogie hineingeschaut, um festzustellen, wie raffiniert Tregillis Gretel an manchen Stellen Andeutungen machen lässt, die sich erst auf spätere Ereignisse beziehen. Zum Ende von Der kälteste Krieg hin sind zwar einige lose Fäden miteinander verbunden worden, aber eine große neue Frage ist gestellt, deren Beantwortung man kaum abwarten kann.

Fakt ist, dass Doctorow recht hat, wenn er schreibt, dass Tregillis „wunderbar plottet und schreibt“ und für mich steht fest, dass ich gerne mehr von dem Autor lesen würde. Der dritte Band der Milkweed-Trilogie ist schon gebucht, aber auch der mittlerweile in den USA erschienene Roman Something More Than Night scheint wie geschaffen für mich: laut Klappentext ist es ein von Raymond Chandler und Dashiell Hammett inspirierter Krimi, der in Thomas von Aquins Vision vom Himmel spielt (hört sich das nicht geil an?). Da der Roman bei Tor Books erschienen ist und der neue Phantastik-Ableger des S. Fischer Verlags nicht umsonst Fischer Tor heißt, besteht vielleicht sogar Hoffnung auf eine Übersetzung.

Aber bis dahin empfehle ich dem geneigten Leser, die Milkweed-Trilogie. Dessen zweiter Teil Der kälteste Krieg ist vielleicht nicht ganz so fesselnd wie der Startroman Saat des Unheils, was bei Mittelstücken einer Trilogie nicht unüblich ist, der aber in allerbester Manier unterhält und ein Szenario entwirft, dass trotz aller phantastischer und unrealistischer Elemente durchaus plausibel ist. (13/15)

Ian Tregillis: Der kälteste Krieg
Titel der amerikanischen Originalausgabe: THE COLDEST WAR (2012)
Aus dem Amerikanischen von Christian Jentsch
Titelbild: Dirk Berger
Lektorat: Alexander Rösch
Deltus.de, November 2014
463 Seiten
13,95 € (Taschenbuch)
ISBN: 9783940626196

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