Nachdem man den zweiten Teil der Milkweed-Trilogie von Ian Tregillis gelesen hat, muss man umso trauriger sein, dass der Festa Verlag seinen Imprint Deltus.de schon wieder einstampft. Es wird nur noch ein Buch erscheinen – zum Glück ist es der Abschlussroman der Trilogie: Das notwendige Böse – und dann ist nach elf Büchern schon wieder Schluss mit dem Experiment. Die übrigen angekündigten Titel werden aber wohl unter dem Festa-Logo erscheinen und der schon fast erschienene Roman Die Leben des Tao von Wesley Chu wird bei S. Fischer erscheinen, ich vermute mal im nächsten Jahr bei deren neuen Phantastik-Ableger Fischer Tor. Also muss man sich nicht zu sehr grämen. Schade ist es trotzdem, denn in dem auf die Bereiche Science Fiction und Fantasy sowie Endzeit abgestimmten Programm fanden sich einige Perlen und ich glaube auch, dass dort noch Einiges zu erwarten gewesen wäre. Aber manchmal soll es halt nicht sein und dass es nicht so einfach ist, eine neue Marke auf dem Markt zu etablieren, dürfte klar sein.
Freuen wir uns also, dass
Deltus.de die Milkweed-Trilogie auf den deutschsprachigen Markt gebracht hat.
Schon der erste Teil Saat des Unheils
hatte mich mitgerissen. Er ist in meiner persönlichen Top Ten des letzten
Jahres gelandet. Der im Genre der
Alternativgeschichte angesiedelte Roman spielt zu Zeiten des Zweiten
Weltkriegs. Die Deutschen haben sich von einem verrückten Professor die fast
perfekten Soldaten bauen lassen, die „Götterelektronengruppe“, bestehend aus Menschen mit Superheldenfähigkeiten. Die Briten bekämpften sie mit
Warlocks, die eine alte Macht, die Eidola, beschworen konnten, um ihnen zu helfen. Carsten Kuhr
bescheinigte dem Roman bei PhantastikNews.de: „Das liest sich spannend und packend auf
einen Rutsch durch, nutzt Thriller-Elemente, um das Tempo und die Dramatik
hochzuhalten, und unterhält bestens.“ (Quelle: http://www.phantastiknews.de/joomla/index.php?option=com_content&view=article&id=9340:ian-tregillis-saat-des-unheils-buch&catid=42:rezensionen&Itemid=62)
Und dem kann ich nur beipflichten. Ich würde sogar noch weitergehen und Cory
Doctorow recht geben, der über Tregillis bei boingboing.net Folgendes schreibt: „Tregillis writes and plots beautifully.
The characters -- twisted German psychics, bitter warlocks, the brutal
calculators of the British intelligence apparat -- are complex, textured,
surprising. The physical descriptions are wonderful. And the plot is
relentless, a driving adventure story with intrigue, battle, sacrifice, and
betrayal.“ (Quelle: http://boingboing.net/2010/04/13/bitter-sands-alterna.html.
Dazu sollte man vielleicht sagen, dass Doctorow Tregillis mal bei einem
Workshop unterrichtete. Aber trotzdem hat er so etwas nicht über jeden seiner
Schüler verlauten lassen.
Der kälteste Krieg spielt 1963, also gut 20 Jahre nach den letzten
Geschehnissen von Saat des Unheils.
Der Zweite Weltkrieg ist nicht ganz so zu Ende gegangen, wie wir es in der
Schule gelernt haben. Die Sowjetunion konnte ihren Machtbereich viel weiter
nach Westen ausbauen und Großbritannien ist so etwas wie die letzte
nicht-kommunistische Bastion Europas. Die wichtigsten Mitglieder der
Götterelektronengruppe sind in sowjetische Gefangenschaft geraten und die UdSSR
konnte aufgrund dessen und den erbeuteten Unterlagen ihrerseits diese Art
Supermenschen formen und verfeinern. Gretel,
derjenigen der deutschen Supermenschen, die in die Zukunft sehen kann, gelingt zusammen
mit ihrem Bruder Klaus die Flucht nach London, wo sie auf ihre einstigen Gegner
trifft, die teilweise vor dem Scherbenhaufen ihres Lebens stehen, und bietet
auf ihre Art und Weise Hilfe an. Aber die Frage ist, was sie bezweckt, denn die
Milkweed-Abteilung des MI6 ist sich sicher, dass es ihr primär nicht um den
Kampf der Briten gegen die Russen geht.
Viel mehr kann ich vom Inhalt hier gar nicht berichten, da
ich sonst auf einige Geschehnisse aus dem ersten Band der Serie eingehen müsste
und ich nicht denjenigen das Vergnügen verderben möchte, die diesen Band noch
nicht kennen. Aber diesen Zustand
sollte man sowieso schleunigst verändern. Der Titel und die kurze Inhaltsangabe lassen es
schon vermuten, es geht im Mittelstück der Serie nicht zu sehr um
direkte Kriegshandlungen, sondern eher um die Auswirkungen, die der Zweite
Weltkrieg auf die Nachkriegszeit hatte. Es ist in weiten Teilen noch mehr ein
Agententhriller, als es der erste Band schon ist. So ist Saat des Unheils auch
um einiges actionreicher. Aber trotzdem ist auch Der kälteste Krieg eine
wunderbare Genre-Melange aus Science Fiction, Fantasy, Horror und Thriller, die
in allerbester Form unterhaltsam ist. Im Mittelteil gibt es zwar einige Längen,
aber das Ende entschädigt dafür zunächst mit fulminanten Actioneinlagen und
dann mit einer Wendung, die einen nahezu zwingt, den dritten Teil auch noch zu
lesen.
Die Charaktere sind wieder mehrdimensional angelegt. Im Gegensatz zu Saat des
Unheils finden sich in Der kälteste
Krieg, wo der Krieg aus fast allen Figuren gewissenlose Bestien gemacht
hat, sogar reine Sympathieträger. Und zwar gerade dort, wo man sie zunächst
nicht erwartet. Und der Tatsache, dass im Roman mit Gretel eine Figur vorhanden
ist, die durch ihre Hellsichtigkeit mehr vom Fortgang der Geschichte weiß, als
der Leser, wird mit einigen raffinierten Tricks Rechnung getragen. Ich habe ein ums andere Mal im ersten Band der Trilogie hineingeschaut, um festzustellen, wie
raffiniert Tregillis Gretel an manchen Stellen Andeutungen machen lässt, die
sich erst auf spätere Ereignisse beziehen. Zum Ende von Der kälteste Krieg hin
sind zwar einige lose Fäden miteinander verbunden worden, aber eine große neue
Frage ist gestellt, deren Beantwortung man kaum abwarten kann.
Fakt ist, dass Doctorow recht hat, wenn er schreibt, dass
Tregillis „wunderbar plottet und schreibt“ und für mich steht fest, dass ich
gerne mehr von dem Autor lesen würde. Der dritte Band der Milkweed-Trilogie ist
schon gebucht, aber auch der mittlerweile in den USA erschienene Roman Something More Than Night scheint wie
geschaffen für mich: laut Klappentext ist es ein von Raymond Chandler und
Dashiell Hammett inspirierter Krimi, der in Thomas von Aquins Vision vom Himmel
spielt (hört sich das nicht geil an?). Da der Roman bei Tor
Books erschienen ist und der neue Phantastik-Ableger des S. Fischer Verlags
nicht umsonst Fischer Tor heißt, besteht vielleicht sogar Hoffnung auf eine
Übersetzung.
Titel der amerikanischen Originalausgabe: THE COLDEST WAR (2012)
Aus dem Amerikanischen von Christian Jentsch
Titelbild: Dirk Berger
Lektorat: Alexander Rösch
Deltus.de, November 2014
463 Seiten
13,95 € (Taschenbuch)
ISBN: 9783940626196
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