Wie wahrscheinlich viele meiner
Generation bin ich mit der filmischen Aufarbeitung des Vietnamkriegs groß geworden.
Filme wie „Apocalypse Now“, The Deer Hunter“, „Platoon“, „Rambo“ , „Full Metal
Jacket“ oder der ziemlich fragwürdige „Missing in Action“ haben mir dieses
Trauma der jüngeren amerikanischen Geschichte näher gebracht. Einen Roman mit dem Thema Vietnamkrieg hatte
ich noch nicht gelesen. MATTERHORN von Karl Marlantes war also mein erster
Vietnam-Roman.
2010 im Original erschienen, war
der Roman in den USA ein veritabler Bestseller. Die deutschen Rechte sicherte
sich der kleine Arche Verlag und 2013 erschien jetzt die Taschenbuchausgabe bei
Heyne unter dem Hardcore-Label.
Der Autor war selbst als
Lieutenant in Vietnam. Nicht von ungefähr ist der Protagonist ebenfalls ein
junger Lieutenant, der zu Beginn des Buches zu seiner Marine-Einheit kommt.
Offensichtlich hat Marlantes autobiographische Züge in die Person des Second
Lieutenant Mellas eingewebt. 30 Jahre
arbeitete Marlantes an dem Roman ehe er veröffentlicht wurde. Es ist seine
Aufarbeitung seines persönlichen Traumas.
Er beschreibt das Kriegsgeschehen
sehr intensiv. Aber anders als im Film bekommt man als Leser auch Einblicke ins
Innenleben der Soldaten. Und das kann bekanntlich verstörender sein als die
abscheulichsten Gräueltaten als Beobachter auf der Leinwand zu sehen.
Lieutenant Mellas kommt also im
zarten Alter von 19 Jahren zu seiner Einheit nach Vietnam und wird Zugführer
einer Marines-Einheit. (19 ist auch so eine Zahl, die ich mit dem Vietnamkrieg
verbinde. Paul Hardcastle lässt grüßen). Sein Zug ist Teil einer Kompanie, die auf
einem Hügel, der vom amerikanischen Militär Matterhorn genannt wird,
positioniert wird. Nachdem sie den Hügel so bereitet haben, dass er gut zu
verteidigen wäre, bekommen sie den Befehl Matterhorn zu verlassen. Nur um
später wieder zurückzukehren und den Feind dort in den von ihnen errichteten
Stellungen zu finden.
Die Handlung des Romans lässt
sich schwer wiedergeben, weil sie so aberwitzig erscheint, dass es unmöglich
ist sie logisch wiederzugeben. Aber das zeichnet den Roman aus. Er ist aus der
Perspektive einer Kampfeinheit geschrieben, die Befehlen Folge zu leisten hat
und nicht deren Sinn zu hinterfragen. Obwohl die Soldaten zwangsläufig diesen
Sinn hinterfragen und schnell feststellen, dass sowieso kein tieferer Sinn, in
dem was sie tun, zu finden ist.
Marlantes singt zwar auch das Hohe Lied des
einfachen Marine, der Kameradschaft und der Treue. Was aber fehlt ist jedweder
Hurrapatriotismus, der oft, selbst auch in den kritischsten Filmen zu finden
ist. Klar, es werden junge Männer vorgestellt, die sich zum größten Teil freiwillig
„für ihr“ Land gemeldet haben. Aber sie merken schnell, dass sie nur für
eigenes kleines Leben kämpfen und im Grunde genommen nicht wissen, warum sie in
dem Dschungel sind, in dem sie sind.
Die Kommandeure, die vorgestellt
werden, kommen allesamt schlecht weg. Entweder sind es versoffene Nostalgiker,
die einem verklärten Soldatenbild nachhängen, oder Karrieristen, die wissen,
dass eine verantwortliche Position in einem Krieg sich gut in ihrem Lebenslauf
machen wird. Sie schicken die Soldaten in schier ausweglose Situationen und
nehmen bewusst Verluste in Kauf. Was ihre Befehle für den Einzelnen bedeuten,
ist ihnen nicht bewusst. Oder sie verdrängen es.
Der Roman beschreibt den Krieg,
wie er tatsächlich gewesen sein könnte. Und der Schrecken, der von diesem Roman
ausgeht, ist real. Dazu schafft es Marlantes eine Nähe zu den handelnden
Personen aufzubauen, dass der Leser ihr Erleben miterlebt. Und durch diese Nähe
bezieht der Roman seine Spannung. Man leidet mit, wenn einer der „Jungs“
verletzt oder getötet wird. Man versucht nachzuvollziehen, was diejenigen fühlen,
die durch diese Hölle gehen und man ist verspürt diese dumpfe Wut, auf
diejenigen, die so etwas zulassen. In
vielen Momenten ist dieser Roman ein großes Anti-Kriegs-Werk.
Marlantes lässt auch nicht die
unter den Soldaten herrschenden Ressentiments der unterschiedlichen Rassen aus,
die besonders in den Kampfpausen hervortreten. Denn während des Einsatzes gibt
es kein Schwarz und Weiß, da gibt es nur Grün. Die Fronten, die es daheim gibt,
können selbst die traumatischsten gemeinsamen Erlebnisse nicht wegwischen.
Alles in allem ist MATTERHORN ein
großartiger Roman. Einzig gegen Ende wird er mir teilweise zu philosophisch.
Ich gestehe Karl Marlantes zu, dass er die Erkenntnisse, die er aus dem Krieg
und seiner Verarbeitung des Erlebten gezogen hat, gerne mitteilen möchte, aber
dadurch schwächt er das vorher intensive eigene Erleben während der Lektüre
etwas ab. Trotzdem kann ich dieses Buch mit bestem Gewissen weiterempfehlen.
Zum Abschluss noch ein dickes Lob
an den Übersetzer Nikolaus Stangl. Er bringt das Kunststück fertig, die
richtige Balance aus Eindeutschungen und dem Verwenden amerikanischer
Militärbegriffe zu finden, die das Buch auch in der Übersetzung exzellent
lesbar machen.
Fazit: Anti-Kriegs-Roman, der auf
verstörende Weise die Schrecken für den einfachen Soldaten im Vietnamkrieg
lebendig werden lässt.
Karl Marlantes: Matterhorn
Roman
Heyne, Oktober 2013
Originaltitel: Matterhorn (2010)
Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stangl
670 Seiten
11,99 € (Klappbroschur)
ISBN: 978-3453676572(auch gebunden - 24,95 €, Arche Verlag - und als E-Book erhältlich: 19,99 €)
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Homepage zum Roman
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