James Frey verursachte einen der
größten Literaturskandale der USA im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends, als
herauskam, dass sein vermeintlich autobiographischer Roman „A Million Little
Pieces“ (TAUSEND KLEINE SCHERBEN) nicht wirklich autobiographisch, sondern
wohl eher fiktiv war. Mit dem Großstadt- Roman „Bright Shiny Morning“ (STRAHLEND
SCHÖNER MORGEN) rehabilitierte er sich dann bei der Literaturkritik. Sein bislang letzter Roman, DAS LETZTE TESTAMENT
DER HEILIGEN SCHRIFT („The Final Testament of The Holy Bible“, 2011) liegt nun
als Taschenbuch vor, nachdem er 2012 erstmalig in Deutsch beim Verlag Haffmans
& Tolkemitt erschienen ist. Das
Taschenbuch ist bei Heyne unter dem Hardcore-Label erschienen. Warum er unter diesem Label erschienen ist, ist mir
schleierhaft. Es muss wohl damit zu tun haben, dass er sich mit seinen ersten
Romanen den Ruf erworben hat, eine sehr drastische Sprache zu benutzen. Aus dieser Zeit stammt wohl auch der Blurb
auf dem Cover der Ausgabe: „Er schreibt härter als Don DeLillo und zorniger als
Bret Eason Ellis“, stand in der ZEIT.
Was als allererstes auffällt, wenn
man das Buch beginnt, ist, dass hier nicht ein Übersetzer am Werk war, sondern
13. Und Verleger Gerd Haffmans hat sich nicht irgendwen zum Übersetzen ins Boot
geholt, sondern fast ausnahmslos namhafte Autoren deutscher
Gegenwartsliteratur: Alexa Henning von Lange, Clemens J. Setz, Charles Lewinsky
oder Juli Zeh. Aber genug des Namedroppings.
Kommen wir zum Text selbst.
Wie der Titel schon sagt, lehnt
sich der Roman stark an die Bibel an. Es ist die Geschichte von Ben Jones, der
als Jude in New York aufwächst, dann von seinem Bruder, der zum Christentum
konvertiert ist, aus der Familie verstoßen wird, und später wie durch ein
Wunder einen schweren Unfall überlebt. Wie sich später in Rückblenden
erschließt, hat schon der Rabbi seiner Gemeinde von klein auf geglaubt, dass Ben der Messias
sei. Aber auch sein Bruder und andere christliche Geistliche halten ihn,
nachdem sie ihn wiedergefunden haben für die Inkarnation des Sohn Gottes. Wie
er sich selbst sieht, wird aus dem Buch nicht wirklich klar. Er hat nach seinem
Unfall - eine schwere Fensterscheibe stürzt aus großer Höhe auf ihn - schwere
epileptische Anfälle, in denen er angeblich mit Gott (oder dem, was er unter
Gott versteht) kommuniziert. Die verschiedenen Konfessionen versuchen natürlich
ihn für sich zu vereinnahmen, aber er geht unbeirrt seinen eigenen Weg und
predigt (neben den bevorstehenden Untergang) eigentlich nur eines: Liebe. Und
zwar jeder soll so lieben. wie er möchte und nicht wie es ihm die Gesellschaft vorschreibt. Das beinhaltet vor allem die körperliche Liebe.
Der Roman ist so aufgebaut, dass
verschiedene Weggefährten Ben Jones zu Wort kommen. Da ist zum einen die
Nachbarin, die später seine Geliebte wird, seine Schwester, seine Mutter, der
Rabbi seiner Jugend und verschiedene andere Personen. Der Clou der Übersetzung
ist es , dass die verschiedenen Kapitel von verschiedenen Autoren übersetzt
werden. Ich habe das Original zwar nicht
gelesen und kann nicht sagen, ob James Frey es hingekriegt hat, den
verschiedenen Erzählern jeweils eine eigene Erzählstimme zu geben, aber der
deutschen Version gelingt es ausgezeichnet. Die Übersetzer passen recht gut zum
Stil der Erzähler. Harry Rowohlt übersetzt den von der Gesellschaft Verstoßenen
und der Lyriker Steffen Jacobs, den sich gewählt ausdrückenden katholischen
Pfarrer. Das passt alles. Sprachlich gibt es an dem Roman wenig auszusetzen.
Die Uneinheitlichkeit, die ganz nach dem biblischen Vorbild erzeugt werden
soll, ist vorhanden.
Was bei DAS LETZTE TESTAMENT DER
HEILIGEN SCHRIFT aber daneben geht, ist der Versuch, so etwas, wie eine
(Frohe?) Botschaft zu übermitteln. Verknappt gesagt, ist Ben Jones‘ These: Wenn
sich alle Menschen lieben, gibt es nichts Böses mehr auf der Welt. Einen Gott,
wie ihn die Weltreligionen propagieren gibt es nicht und genausowenig ein
Jenseits. Der Mensch hat nur dieses eine Leben und soll es so gestalten, dass
er den „Himmel“ schon auf Erden erlebt. Also wie man erkennen kann: ganz neue
Aussagen, Ratschläge, wie man das Leben leben sollte, wie es sie noch nie gab.
Aber mal im Ernst: So etwas Abgedroschenes ist mir lange nicht mehr in einem Roman untergekommen. Und die Menschen, die diesem Ben Jones begegnet sind und von ihm
geliebt worden sind, haben danach das
Leben wirklich mit anderen Augen gesehen? In jedem 08/15-Pseudo Ratgeber à la „Liebe
dich selbst und es ist egal wen du heiratest“ oder irgendwelchen komischen
Glücksratgebern steht im Prinzip dasselbe. Braucht man deswegen einen Roman, der einem
das, noch nicht einmal subtil, sondern mit dem Holzhammer, einzutrichtern
versucht. Ich denke nein. Das Leben ist komplizierter gestrickt, als dass es
sich durch solch vereinfachte Formeln erklären lassen kann.
Die Botschaft, dass man sich auf
das Leben und nicht auf das Jenseits konzentrieren soll, ist auch nicht so furchtbar
neu und wirkt auf mich genau so banal, wie die Reduzierung auf die körperliche
Liebe als einzig selig machendes Allheilmittel.
Schon andere vor der fiktiven Person Ben Jones haben Gott sterben
lassen. Nun mag man dazu stehen, wie man möchte. Aber auch hier frage ich mich,
nach dem Sinn des Ganzen. Denkt James Frey tatsächlich, wenn man diesen simplen
Grundsätzen folgen würde, wäre es besser, um die Zukunft der Menschheit
gestellt und lässt deshalb den neuen Messias diese Botschaft verkünden. Ich
hoffe nicht. Denn zum Nachdenken regt dieses Buch nicht an. Man kann es gut
nebenbei lesen, es weglegen und sich einigermaßen unterhalten fühlen. Und zwei
Wochen später hat man es vergessen. Aber ich hege die Befürchtung, dass die
eigentliche Intention Freys eine andere war. Das ist aber in die Hose gegangen.
Fazit: Recht unterhaltsame Messias-Geschichte, die aber leider versucht eine
allzu simple Botschaft intellektuell aufzubauschen und sich so vollkommen
vergaloppiert. Die Grundidee hätte einen guten Komödienstoff geliefert. So ist
es nichts weiter als ein pseudophilosophischer Unterhaltungsroman, der auf
anspruchsvolle Literatur macht. Was ihn trotzdem einigermaßen lesenswert macht,
ist der durch die verschiedenen Übersetzer besonders hervorgehobenen Stilwechsel
der verschiedenen Kapitel.
Roman
Heyne, November 2013
Originaltitel: The Final Testament of The Holy Bible (2011)
Aus dem Amerikanischen von Alexandra Henning von Lange, Clemens J. Setz, Tina Uebel, Zoë Jenny, Katja Scholtz, Kristof Magnusson, Charles Lewinsky, Gerd Haffmans, Steffen Jacobs, Klaus Modick, Juli Zeh, Sven Böttcher und Harry Rowohlt
448 Seiten
9,99 € (Taschenbuch)
ISBN: 978-3453410480(auch gebunden - 19,95 €, Haffmans & Tolkemitt - und als E-Book erhältlich: 16,99 €)
"Das letzte Testament der Heiligen Schrift" bei Amazon
Special zu "Das letzte Testament der Heiligen Schrift" bei Random House
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen