Montag, 4. November 2013

Constantin Dupien (Hrsg.): Mängelexemplare


Der Untertitel der Anthologie ist „…und andere makabre Geschichte“. Laut Duden bedeutet das Wort makaber entweder „durch eine bestimmte Beziehung zum Tod unheimlich“ oder „mit Tod und Vergänglichkeit scherzend“. Da eine makabre Kurzgeschichte sich nicht unbedingt einem Genre zuordnen läst, findet der Leser in dieser Anthologie eine Melange aus verschiedenen Genres. Von klassischem Grusel, über lupenreinen Horror bis hin zu Science Fiction-, Steampunk und Kriminalgeschichten reicht der Bogen, den die Geschichten spannen. Jetzt wende ich mich mal den einzelnen Stories zu, die Herausgeber Constantin Dupien, für die Anthologie herausgesucht hat und schaue mal inwieweit sie auf mich makaber wirken:

Constantin Dupien: Auge um Auge
Die erste Geschichte stammt vom Herausgeber selbst. Die Kurzgeschichten, die ich bisher von ihm kannte, haben meinen Geschmack noch nicht getroffen. Bei dieser Story bedient er sich, wie auch schon in denen der Anthologie ERWACHEN, einer gewollt altmodischen Sprache. Und bei „Auge um Auge“ funktioniert es diesmal gut. Die Sprache passt sehr gut zum Erzählten. Ein Mann verliert sein Augenlicht, seine Freundin pflegt ihn und liest ihm täglich aus seiner umfangreichen Bibliothek vor. Das Ende der Gruselstory  ist nicht wirklich überraschend, aber trotzdem liefert Dupien eine ordentliche Geschichte ab, die nebenbei noch einigen klassische Kriminal- und Gruselgeschichten Respekt zollt.

Hans J. Muth: Ruhe sanft!
Hans J. Muth liefert eine sehr kurze makabre Kriminalgeschichte, deren Inhalt ich hier nicht wiedergeben kann. Denn schon der kleinste Hinweis würde dem erfahrenen Krimileser, der auch schon ein paar Krimianthologien gelesen hat, klar machen, wie das Ende der Geschichte verlaufen wird, weil er eine ähnliche Geschichte schon 134 Mal gelesen hat. Unoriginell und fade.
Lisanne Suborg: Der Prototyp
Lisanne Suborg ist für mich die Entdeckung dieser Anthologie. Ihr Name war mir vorher vollkommen unbekannt, was natürlich auch mit ihrem jungen Alter zu erklären ist. „Der Prototyp“ ist eine Steampunk-Story mit einer taffen Heldin, die versucht eine Seuche zu beenden. Eine gut erzählte, fiese, kleine Geschichte mit guten Ideen.

Vincent Voss: Thomas ist anders
Vincent Voss‘ Geschichte fällt schon vor dem Lesen auf. Sie hat den mit Abstand besten Titel der Anthologie. Aber nicht nur das. Sie kann auch durch den Inhalt überzeugen. Besagter Titelheld Thomas verändert sich mehr und mehr und seine Frau versucht dem Grund auf die Spur zu kommen. Hat mich stark an amerikanische B-Movies aus den 1950er Jahren erinnert und hat beim Lesen eine Menge Spaß gebracht.

Martina Pawlak: Qualität hat ihren Preis
Martina Pawlak hatte mit „Wie ein grauer Nebelschleier“ in der Anthologie ERWACHEN eine der Geschichten geschrieben, die mir gut im Gedächtnis haften geblieben sind. Hier liefert sie eine typische Horrorgeschichte um einen Biobauern, der für seinen berühmten Döner nur das beste Fleisch benutzt. In dieser Anthologie fällt diese von der Idee her gute Geschichte etwas ab. Pawlaks Stil ist mir zu sehr beschreibend und wirkt dadurch etwas seelenlos.

Jana Oltersdorff: Blind Date
Jana Oltersdorff, die für mich eine der originelleren Geschichten in der Anthologie VAMPIRE COCKTAIL (hier zu meiner Rezension) fabriziert hatte, warnt mit „Blind Date“ vor den Gefahren von Online-Spielen. Manch Dämonen, die sich dort herumtreiben können realer sein, als man sich vorstellt. Stilistisch einwandfrei, bietet die Story aber zu wenig Überraschendes um sich über den Durchschnitt zu erheben.

Andreas Zwengel: Beste Absichten
In dieser Geschichte töten sich gegen Ende des 2. Weltkriegs die Mitglieder einer amerikanischen Militäreinheit gegenseitig, nachdem sie versehentlich ein Zigeunerlager ausgelöscht haben. Die Story beruht auf einer Hammer-Idee. Leider verschenkt Zwengel einiges an deren Potential, in dem er den auktorialen Erzähler zu sehr aus dem Innenleben des Protagonisten erzählen lässt. Das  wirkt für mich aufgesetzt. Eine andere Erzählperspektive wäre sinnvoller gewesen.

Stefanie Maucher: Mängelexemplar
Stefanie Maucher erzählt in der Titelstory eine reinrassige Science-Fiction-Geschichte, die ein wenig an den Film „Matrix“  erinnert. Eine Frau träumt häufig davon, ein komplett anderes Leben zu führen. Das wirft die Frage auf, ob die Realität ein Traum oder der Traum die Realität ist. Das ist keine bahnbrechend neue Idee, aber wie es umgesetzt ist, zeugt schon von hoher erzählerischer Qualität.

Antonia Larás: Im Watt versunken
Da mir auch die zweite Kriminalgeschichte des Bandes nicht wirklich gefällt, muss ich voraus schicken, dass ich ein großer Fan von Krimi-Kurzgeschichten bin und schon so einige Anthologien aus diesem Bereich verschlungen und für gut befunden habe. Nicht, dass jemand meint, ich würde das Genre nicht mögen. Aber wie hier eine plumpe Rachegeschichte erzählt wird, dass ist mir, trotz perfider Mordmethode, zu simpel. Dazu kommt noch eine 08/15-Auflösung, die ich selbst in Wolfgang Eckes Jugendkrimis, die ich seinerzeit geliebt habe, als vollkommen unglaubwürdig empfunden hätte.

Marc Gore: Devourer – Der Verschlinger
Eines steht für mich fest: aus Marc Gore wird vermutlich kein brillanter Erzähler mehr. Aber mit dieser Story hat er mich mehr als überrascht. Eine gallertartige Masse sucht sich menschliche Nahrung und ein Mob aufgebrachter und ängstlicher Männer versucht sie zu töten. Ein Arzt erklärt der Menge noch die Herkunft der Masse. Das ist die beste Marc-Gore-Story, die ich bisher gelesen habe. Der Hauptgrund ist, dass er diesmal fast gänzlich auf seine typischen Klischees verzichtet, was aber wahrscheinlich auch daran liegt, dass keine wichtige Frauenfigur in der Geschichte vorkommt.

Michael Sonntag: Heimkehr
Michael Sonntag wagt sich immer wieder an eine der schwierigsten literarischen Disziplinen überhaupt heran. Der Miniatur. Hier ist es mal wieder eine Westerngeschichte. Und es gelingt ihm, in nur etwas über drei (kleinen) Seiten, eine recht  eindrucksvolle Rachegeschichte in den Bürgerkriegswirren zu erzählen.

Nina Horvath: Die geteilte Seele
Eine von zwei Geschichten dieser Anthologie, die schon einmal erschienen sind. „Die geteilte Seele“ wurde zum ersten Mal in PANDAIMONION – DIE FORMEL DES LEBENS erschienen. Es ist die längste Geschichte des Bandes und handelt von einem jungen Musiker, der alte Schriften erbt und dort erfährt wie man einen Homunculus erschaffen kann. Eine nicht allzu originelle, aber gute Story, die sich aber durch Horvaths erzählerische Qualität vom Durchschnitt abhebt.

Regina Müller: 03:30
In Regina Müllers Geschichte geht es ähnlich wie schon vorher in Stefanie Mauchers „Mängelexemplar“ um Traum und Realität und das Verschmelzen von beiden. Eine Schriftstellerin löst ihre Schreibblockade, indem sie aus ihren neuartigen Träumen das Vorbild für ein neues Buch zieht. Obwohl vom Thema her ähnlich kommt Müllers Geschichte bei weitem nicht an die Qualität der Maucher-Story heran.

Markus K. Korb: Karussels auf Rummelplätzen
Diese Geschichte erschien erstmals im längst vergriffenen Korb-Debüt TRÄUME VOM ABGRUND aus dem Jahr 2002. Und für diese Wiederveröffentlichung darf man dem Herausgeber dankbar sein. Korb zeigt auch schon in einer seiner ersten Geschichten, warum er für mich einer der besten deutschen Kurzgeschichtenautoren im Horror-Genre ist. Die Intensität, die er auf diesen sechs Seiten erzeugt, erzeugen die meisten anderen Autoren nicht in wesentlich längeren Geschichten. Er hat es geschafft, dass ich bei meinem nächsten Kirmesbesuch, Kinderkarussels mit anderen Augen zu betrachten. Die beste Geschichte des Bandes.

Das waren die 14 Geschichten der Anthologie. Ob jetzt jede einzelne  zu 100 Prozent das Prädikat makaber verdient, will ich jetzt gar nicht in den Vordergrund stellen. MÄNGELEXEMPLARE ist eine abwechslungsreiche, durch verschiedene Genres hüpfende Anthologie, die in ihren guten Momenten blendend unterhält. Die beiden Krimi-Stories zählen für mich zu den Schwachpunkten.  Positiv überrascht war ich von der Story des Herausgebers und der Geschichte von Marc Gore. Voss, Maucher, Korb und Horvath bieten die von ihnen schon fast gewohnt hohe Qualität und Lisanne Suborg gilt es im Auge zu behalten. Für eine richtig gute Anthologie überwiegen die durchschnittlichen Geschichten zwar, aber MÄNGELEXEMPLARE ist eine sinnvolle Ergänzung des diesjährigen Anthologien-Outputs. Man darf gespannt sein, was Dupien für seine nächste Anthologie vorhat.


Fazit: Abwechslungsreiche Anthologie mit wenigen schwachen, einigen guten und einer Mehrheit an durchschnittlichen Geschichten. Jeder, der Kurzgeschichten mag, muss aber wegen der guten Geschichten des Bandes unbedingt einen Blick riskieren. 

Constantin Dupien (Hrsg.): Mängelexemplare... und andere makabre Geschichten
Edition Lepidoptera, Juni 2013
Covergestaltung: Karin Bufe
230 Seiten
14,50 €
ISBN: 978-3941809147
auch als E-Book (7,99 €)erhältlich

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