Der Untertitel der Anthologie ist
„…und andere makabre Geschichte“. Laut Duden bedeutet das Wort makaber entweder
„durch eine bestimmte Beziehung zum Tod unheimlich“ oder „mit Tod und
Vergänglichkeit scherzend“. Da eine makabre Kurzgeschichte sich nicht unbedingt
einem Genre zuordnen läst, findet der Leser in dieser Anthologie eine Melange
aus verschiedenen Genres. Von klassischem Grusel, über lupenreinen Horror bis
hin zu Science Fiction-, Steampunk und Kriminalgeschichten reicht der Bogen,
den die Geschichten spannen. Jetzt wende ich mich mal den einzelnen Stories zu,
die Herausgeber Constantin Dupien, für die Anthologie herausgesucht hat und
schaue mal inwieweit sie auf mich makaber wirken:
Constantin Dupien: Auge um Auge
Die erste Geschichte stammt vom
Herausgeber selbst. Die Kurzgeschichten, die ich bisher von ihm kannte, haben
meinen Geschmack noch nicht getroffen. Bei dieser Story bedient er sich, wie
auch schon in denen der Anthologie ERWACHEN, einer gewollt altmodischen
Sprache. Und bei „Auge um Auge“ funktioniert es diesmal gut. Die Sprache passt
sehr gut zum Erzählten. Ein Mann verliert sein Augenlicht, seine Freundin
pflegt ihn und liest ihm täglich aus seiner umfangreichen Bibliothek vor. Das
Ende der Gruselstory ist nicht wirklich
überraschend, aber trotzdem liefert Dupien eine ordentliche Geschichte ab, die
nebenbei noch einigen klassische Kriminal- und Gruselgeschichten Respekt zollt.
Hans J. Muth: Ruhe sanft!
Hans J. Muth liefert eine sehr
kurze makabre Kriminalgeschichte, deren Inhalt ich hier nicht wiedergeben kann.
Denn schon der kleinste Hinweis würde dem erfahrenen Krimileser, der auch schon
ein paar Krimianthologien gelesen hat, klar machen, wie das Ende der Geschichte
verlaufen wird, weil er eine ähnliche Geschichte schon 134 Mal gelesen hat.
Unoriginell und fade.
Lisanne Suborg: Der Prototyp
Lisanne Suborg ist für mich die
Entdeckung dieser Anthologie. Ihr Name war mir vorher vollkommen unbekannt, was
natürlich auch mit ihrem jungen Alter zu erklären ist. „Der Prototyp“ ist eine
Steampunk-Story mit einer taffen Heldin, die versucht eine Seuche zu beenden.
Eine gut erzählte, fiese, kleine Geschichte mit guten Ideen.
Vincent Voss: Thomas ist anders
Vincent Voss‘ Geschichte fällt schon
vor dem Lesen auf. Sie hat den mit Abstand besten Titel der Anthologie. Aber
nicht nur das. Sie kann auch durch den Inhalt überzeugen. Besagter Titelheld
Thomas verändert sich mehr und mehr und seine Frau versucht dem Grund auf die
Spur zu kommen. Hat mich stark an amerikanische B-Movies aus den 1950er Jahren erinnert
und hat beim Lesen eine Menge Spaß gebracht.
Martina Pawlak: Qualität hat
ihren Preis
Martina Pawlak hatte mit „Wie ein
grauer Nebelschleier“ in der Anthologie ERWACHEN eine der Geschichten
geschrieben, die mir gut im Gedächtnis haften geblieben sind. Hier liefert sie
eine typische Horrorgeschichte um einen Biobauern, der für seinen berühmten Döner
nur das beste Fleisch benutzt. In dieser Anthologie fällt diese von der Idee her
gute Geschichte etwas ab. Pawlaks Stil ist mir zu sehr beschreibend und wirkt dadurch
etwas seelenlos.
Jana Oltersdorff: Blind Date
Jana Oltersdorff, die für mich
eine der originelleren Geschichten in der Anthologie VAMPIRE COCKTAIL (hier zu
meiner Rezension) fabriziert hatte, warnt mit „Blind Date“ vor den Gefahren von
Online-Spielen. Manch Dämonen, die sich dort herumtreiben können realer sein,
als man sich vorstellt. Stilistisch einwandfrei, bietet die Story aber zu wenig
Überraschendes um sich über den Durchschnitt zu erheben.
Andreas Zwengel: Beste Absichten
In dieser Geschichte töten sich
gegen Ende des 2. Weltkriegs die Mitglieder einer amerikanischen Militäreinheit
gegenseitig, nachdem sie versehentlich ein Zigeunerlager ausgelöscht haben. Die
Story beruht auf einer Hammer-Idee. Leider verschenkt Zwengel einiges an deren
Potential, in dem er den auktorialen Erzähler zu sehr aus dem Innenleben des
Protagonisten erzählen lässt. Das wirkt
für mich aufgesetzt. Eine andere Erzählperspektive wäre sinnvoller gewesen.
Stefanie Maucher: Mängelexemplar
Stefanie Maucher erzählt in der
Titelstory eine reinrassige Science-Fiction-Geschichte, die ein wenig an den
Film „Matrix“ erinnert. Eine Frau träumt
häufig davon, ein komplett anderes Leben zu führen. Das wirft die Frage auf, ob
die Realität ein Traum oder der Traum die Realität ist. Das ist keine
bahnbrechend neue Idee, aber wie es umgesetzt ist, zeugt schon von hoher
erzählerischer Qualität.
Antonia Larás: Im Watt versunken
Da mir auch die zweite
Kriminalgeschichte des Bandes nicht wirklich gefällt, muss ich voraus schicken,
dass ich ein großer Fan von Krimi-Kurzgeschichten bin und schon so einige Anthologien
aus diesem Bereich verschlungen und für gut befunden habe. Nicht, dass jemand
meint, ich würde das Genre nicht mögen. Aber wie hier eine plumpe
Rachegeschichte erzählt wird, dass ist mir, trotz perfider Mordmethode, zu
simpel. Dazu kommt noch eine 08/15-Auflösung, die ich selbst in Wolfgang Eckes
Jugendkrimis, die ich seinerzeit geliebt habe, als vollkommen unglaubwürdig
empfunden hätte.
Marc Gore: Devourer – Der Verschlinger
Eines steht für mich fest: aus Marc
Gore wird vermutlich kein brillanter Erzähler mehr. Aber mit dieser Story hat
er mich mehr als überrascht. Eine gallertartige Masse sucht sich menschliche
Nahrung und ein Mob aufgebrachter und ängstlicher Männer versucht sie zu töten.
Ein Arzt erklärt der Menge noch die Herkunft der Masse. Das ist die beste
Marc-Gore-Story, die ich bisher gelesen habe. Der Hauptgrund ist, dass er
diesmal fast gänzlich auf seine typischen Klischees verzichtet, was aber
wahrscheinlich auch daran liegt, dass keine wichtige Frauenfigur in der
Geschichte vorkommt.
Michael Sonntag: Heimkehr
Michael Sonntag wagt sich immer
wieder an eine der schwierigsten literarischen Disziplinen überhaupt heran. Der
Miniatur. Hier ist es mal wieder eine Westerngeschichte. Und es gelingt ihm, in
nur etwas über drei (kleinen) Seiten, eine recht eindrucksvolle Rachegeschichte in den Bürgerkriegswirren
zu erzählen.
Nina Horvath: Die geteilte Seele
Eine von zwei Geschichten dieser
Anthologie, die schon einmal erschienen sind. „Die geteilte Seele“ wurde zum
ersten Mal in PANDAIMONION – DIE FORMEL DES LEBENS erschienen. Es ist die
längste Geschichte des Bandes und handelt von einem jungen Musiker, der alte
Schriften erbt und dort erfährt wie man einen Homunculus erschaffen kann. Eine
nicht allzu originelle, aber gute Story, die sich aber durch Horvaths
erzählerische Qualität vom Durchschnitt abhebt.
Regina Müller: 03:30
In Regina Müllers Geschichte geht
es ähnlich wie schon vorher in Stefanie Mauchers „Mängelexemplar“ um Traum und
Realität und das Verschmelzen von beiden. Eine Schriftstellerin löst ihre
Schreibblockade, indem sie aus ihren neuartigen Träumen das Vorbild für ein
neues Buch zieht. Obwohl vom Thema her ähnlich kommt Müllers Geschichte bei
weitem nicht an die Qualität der Maucher-Story heran.
Markus K. Korb: Karussels auf
Rummelplätzen
Diese Geschichte erschien
erstmals im längst vergriffenen Korb-Debüt TRÄUME VOM ABGRUND aus dem Jahr 2002.
Und für diese Wiederveröffentlichung darf man dem Herausgeber dankbar sein. Korb
zeigt auch schon in einer seiner ersten Geschichten, warum er für mich einer
der besten deutschen Kurzgeschichtenautoren im Horror-Genre ist. Die Intensität,
die er auf diesen sechs Seiten erzeugt, erzeugen die meisten anderen Autoren
nicht in wesentlich längeren Geschichten. Er hat es geschafft, dass ich bei meinem
nächsten Kirmesbesuch, Kinderkarussels mit anderen Augen zu betrachten. Die
beste Geschichte des Bandes.
Das waren die 14 Geschichten der
Anthologie. Ob jetzt jede einzelne zu
100 Prozent das Prädikat makaber verdient, will ich jetzt gar nicht in den
Vordergrund stellen. MÄNGELEXEMPLARE ist eine abwechslungsreiche, durch
verschiedene Genres hüpfende Anthologie, die in ihren guten Momenten blendend
unterhält. Die beiden Krimi-Stories zählen für mich zu den Schwachpunkten. Positiv überrascht war ich von der Story des
Herausgebers und der Geschichte von Marc Gore. Voss, Maucher, Korb und Horvath
bieten die von ihnen schon fast gewohnt hohe Qualität und Lisanne Suborg gilt
es im Auge zu behalten. Für eine richtig gute Anthologie überwiegen die
durchschnittlichen Geschichten zwar, aber MÄNGELEXEMPLARE ist eine sinnvolle
Ergänzung des diesjährigen Anthologien-Outputs. Man darf gespannt sein, was
Dupien für seine nächste Anthologie vorhat.
Fazit: Abwechslungsreiche
Anthologie mit wenigen schwachen, einigen guten und einer Mehrheit an
durchschnittlichen Geschichten. Jeder, der Kurzgeschichten mag, muss aber wegen
der guten Geschichten des Bandes unbedingt einen Blick riskieren.
Constantin Dupien (Hrsg.): Mängelexemplare... und andere makabre Geschichten
Edition Lepidoptera, Juni 2013
Covergestaltung: Karin Bufe
Covergestaltung: Karin Bufe
230 Seiten
14,50 €
ISBN: 978-3941809147auch als E-Book (7,99 €)erhältlich
"Mängelexemplare" bei Amazon
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