„American
Diner“ ist der zweite Band der Trilogie „Kannibalen unter uns“.
1998 soll der erste Band „Homestay“ zum ersten Mal als DNL-E-Book
in Neuseeland veröffentlicht worden und mit über 5 Millionen
Verkäufen die erfolgreichste DNL-E-Book-Trilogie aller Zeiten sein.
So jedenfalls sagt es die vollmundige Werbung zu dem Buch. Nun
erscheint sie auf Deutsch und zwar komischerweise zuerst mit Band 2.
Weil, so Marlon Baker auf seiner Website www.marlonbaker.com,
„nur diese Reihenfolge Sinn macht“. Inwieweit das stimmt oder ob
es nur ein Marketing-Schachzug ist, kann ich nicht beurteilen. Auch
zum so erfolgreichen Original findet man wenig bis gar keine
Informationen in den Suchmaschinen des weltweiten Netzes.
Aber
worum geht’s: Die Familie Bacon (Vater, Mutter, 15-jähriger Sohn)
zieht aus Gründen, die wahrscheinlich etwas mit dem ersten Teil der
Trilogie zu tun haben, aus der Großstadt Auckland in das eher
beschauliche Lyttleton. Sie beziehen ein Haus, das von den
alteingesessenen Einwohnern mehr oder weniger gemieden wird – eine
Art Horror-Haus. Und in diesem Haus wollen die Bacons auch noch einen
Diner eröffnen, der – nomen est omen – hauptsächlich Fleisch-
und Wurstspezialitäten auf der Speisekarte haben soll. Der Titel der
Trilogie lässt natürlich schon vermuten, um was für eine Sorte
Fleisch es sich bei den besonderen Spezialitäten des Hauses handeln
könnte. Die Hauptfigur des Buches ist aber der Spross der Familie,
William Bacon, ein schmächtiger Junge, der so gar nicht nach seinem
eher grobschlächtigen Vater kommt, Fleisch eher verabscheut und
schon beim Anblick von Blut in Ohnmacht fällt. William hat die
typischen Angst und Sorgen eines Jugendlichen, der neu in eine fremde
Stadt kommt und ist sich über seine sexuelle Orientierung noch im
Unklaren. Um etwas Extrageld in die, durch Hauskauf und
Renovierungskosten gebeutelte Kasse zu bekommen, nimmt die Familie
auch noch einen deutschen Austauschschüler auf. Die beiden
gleichaltrigen Jungs kommen sich schnell näher...
Der
Titel der Trilogie „Kannibalen unter uns“ und die Appetizer zum
Buch bei Amazon haben mich sehr neugierig auf das Buch gemacht. Ein
jugendlicher Protagonist, der dem Geheimnis seiner Eltern auf die
Schliche kommt und nicht weiß, was zu tun ist; das hört sich für
mich erst einmal interessant an. Aber beim Lesen kam dann doch
schnell die Ernüchterung. Der Roman versucht sich an mehreren
Themen. Ich versuche sie mal einzeln durchzugehen. Kannibalismus –
Titel und auch versteckte Andeutungen schon zu Beginn weisen schnell
in diese Richtung. Aber irgendwann reicht es auch mit den Andeutungen
und ich als Leser will auch anstatt des siebten vorsichtigen
versteckten Hinweises, dass es endlich mal zur Sache kommt.
Spukhausgeschichte – Auch hier: Türen fallen so ins Schloss und
das Haus hat eine furchtbare Vergangenheit. Aber welche das ist, das
wird in den 600 Seiten des Buches vielleicht in 2 – 3 kleinen
Absätzen erwähnt. Coming-of-Age-Geschichte – Ein 15-Jähriger,
der die Anerkennung seiner Eltern sucht, der Angst vor Mobbing in
seiner neuen Schule hat, der seine ersten sexuellen Erfahrungen
macht. Das alles sind Zutaten zu einem Roman, der genau meinen
Geschmack treffen könnte. Nur hat das Buch einiges, was fehlt. Es
ist nicht spannend genug, um ein Thriller zu sein. Es ist nicht
gruselig genug, um eine Spukhausgeschichte zu sein. Es ist nicht
blutig genug, um ein Splatter-Roman zu sein. Es ist viel zu
klischeehaft um eine gute Adoleszenz-Geschichte zu sein.
Dann
ist der Roman viel zu lang. Mindestens die Hälfte ist in meinen
Augen überflüssiges Geschwafel. William Bacon, der Protagonist,
ist ein großer Fan des Autors Marlon Baker, der ja auch dieses Buch
geschrieben hat. Soviel Cross-Promotion wie in diesem Buch habe ich
noch nie vorher erlebt und das halte ich, mit Verlaub gesagt, für
eine Frechheit. Dass der Autor selbst in seinem Buch vorkommt (nicht
als Ich-Erzähler sondern als normale Figur wohlgemerkt) könnte man
ja noch als misslungenen Versuch einer interessanten
Erzählperspektive durchgehen lassen, aber diese permanenten
Anspielungen auf die großartige Qualität der restlichen Werke
Marlon Bakers gehen mit der Zeit nur noch auf die Nerven.
Die
Figuren sind alle so gezeichnet, dass man nach zwei, drei Sätzen zu
ihnen, genau weiß, wie sie in den folgenden Situationen reagieren
werden. Alles ist vorhersehbar und nach Schema F gestrickt. Es gibt
kein wirkliches Überraschungsmoment.
Dazu
kommen auch noch logische Fehler. Wenn zwei, drei Seiten vorher eine
Figur erklärt, sein Vater sei verschwunden und ist im Moment nicht
erreichbar (und der Leser zu 90 Prozent weiß, was dieser
verschwundenen Person passiert ist), wie kann er dann von ihm
abgeholt und nach Hause gefahren werden. Und das ist nicht der
einzige Fehler dieser Art. Da frage ich mich als Leser, warum niemand
vor der Veröffentlichung dieses Buch mal ernsthaft auf solche leicht
zu entdeckenden Fehler durchgesehen hat. Ich bin, weiß Gott nicht
der aufmerksamste Leser und kann auch gerade bei
selbstveröffentlichenden Autoren bezüglich Fehlern mal ein Auge
zudrücken, aber wenn man schon einen 600-seitigen Roman für einen
gewissen Preis veröffentlicht, erwarte ich ein bisschen mehr.
Was
mir auch noch aufgefallen ist, sind einige Rechtschreibfehler bzw.
Fehler in denen gleichklingende Wörter im falschen Zusammenhang
genutzt worden sind, z. B. Meer und mehr. Für mich liest sich das
so, als ob jemand eine Spracherkennungssoftware benutzt hat und ob
der Länge des Textes nicht die nötige Ausdauer zu einer kompletten
Korrekturdurchsicht gehabt hat.
Fazit:
Die im Klappentext geschürten
Erwartungen werden in keinster Weise erfüllt. Die erzählte
Geschichte ist weder spannend noch interessant, die
Selbstbeweihräucherung des Autors nervt und es gibt zu viele
stilistische und logische Fehler. Mit einem vernünftigen Lektorat,
einer Kürzung um zwei Drittel und einer Konzentration auf das
Wesentliche hätte man durchaus noch etwas aus der Story machen
können. In der jetzt vorliegenden Form muss ich leider von dem Buch
abraten.
EDIT (25.01.2013): Wie mir Marlon Baker mitgeteilt hat, ist aus Versehen in der mir vorliegenden ersten Auflage des Buches die unlektorierte Fassung veröffentlicht worden. Inwieweit die von mir bemängelten Fehler ausgemerzt sind, kann ich leider nicht beurteilen, da mir die neue Auflage nicht vorliegt
EDIT (25.01.2013): Wie mir Marlon Baker mitgeteilt hat, ist aus Versehen in der mir vorliegenden ersten Auflage des Buches die unlektorierte Fassung veröffentlicht worden. Inwieweit die von mir bemängelten Fehler ausgemerzt sind, kann ich leider nicht beurteilen, da mir die neue Auflage nicht vorliegt
Marlon Baker: Kannibalen unter uns, Band II - American Diner
Übersetzung aus dem Neuseeländischen: Richard Allenberry
600 Seiten
19,80 €
ISBN: 978-1479360581 (Taschenbuch)
Auch als E-Book erhältlich (9,99 €)
Taschenbuch bei Amazon
Kindle-Version
Marlon Bakers Homepage
Oh weh. Ich hatte mich so auf das Buch gefreut und habe es auch schon auf meinen Reader geladen. Jetzt wird es wohl erst mal auf meiner To-Read-Liste etwas weiter nach unten rutschen.
AntwortenLöschenDanke für die tolle und ehrliche Rezi.
LG Beate