Freitag, 4. Januar 2013

Edward Lee: Haus der bösen Lust


Im letzten Jahr erschienen bei Festa einige Romane denen das Etikett Extrem-Horror angehaftet wurde, die dann mit Slogans der Art: „Das Heftigste, was je zu lesen war“ beworben wurden. Das ist jetzt nicht unbedingt etwas, was mich mich von vornherein anspricht. Ein guter Horror-Roman zeichnet sich für mich nicht nur durch Aneinanderreihungen von Ekligkeiten und Obszönitäten aus. Auch wenn so etwas, wenn es gekonnt gemacht ist, natürlich durchaus seinen Reiz hat. Aber anscheinend scheint solche Werbung zu ziehen. Und wenn ich einem Verlag von ganzem Herzen Erfolg und gute Verkaufszahlen wünsche, dann dem Festa Verlag. Ich habe mir von den sogenannten „Extrem-Horror-Sachen“ bisher jeweils zweimal Tim Curran und Bryan Smith und einmal Nate Southard zu Gemüte geführt. Jetzt war es also mal Zeit für Edward Lee. Anders als die drei vorher genannten veröffentlicht Lee schon etwas länger. Erste Romane von ihm stammen schon aus den 1990er Jahren und 2001 und 2003 brachte Heyne eine Übersetzung seiner Fantasyromane „City Infernal“ und „Infernal Angel“ heraus. Letztes Jahr erschienen dann sechs seiner Bücher auf deutsch. Einer bei Voodoo Press und fünf bei Festa. Die erste Festa-Veröffentlichung war „Haus der bösen Lust“ mit einer Warnung des Verlags vor überzogenen Darstellungen von sexueller Gewalt.

Zum Inhalt: Das „Haus der bösen Lust“ ist zu Zeiten vor und während des amerikanischen Bürgerkriegs Wohnsitz der Familie Gast in Tennessee, also im tiefsten Süden der USA. Harwood Gast ist ein Plantagenbesitzer, der sich in Kopf gesetzt hat, eine Eisenbahnstrecke von seinem Wohnort, der später nach ihm benannt wird, zu einer stillgelegten Munitionsfabrik nach Maxon, Georgia zu bauen. Angeblich um Munitionsnachschub für den sich anbahnenden Krieg zu gewährleisten. Seine Frau ist alldieweil sexuell äußerst umtriebig und ihretwegen werden einige Sklaven und Bahnarbeiter ihres Mannes hingerichtet. - 150 Jahre später ist das Gast-Haus mittlerweile eine Pension, die von der Familie Butler, einer ca. 65-Jährige älteren Dame mit ihren erwachsenen Kindern Lottie und Jiff, geführt wird. In diese Pension mietet sich Justin Collier ein. Er ist Bierexperte mit eigener Fernsehsendung, der zu Recherchezwecken für sein neues Buch in Gast gelandet ist. In dem Haus passieren zwei Dinge mit Collier: zum einen hat er Albträume, in denen er Geschehnisse aus der Zeit der Familie Gast in verschiedenen Rollen äußerst real miterlebt und zum anderen steigert sich seine, in letzter Zeit brach liegende Libido in ungeahnte Höhen. Er ist also spitz wie Nachbars Lumpi. Aber auch die Familie Butler ist in dieser Hinsicht nicht zu unterschätzen. Ihr sexuelles Verlangen ist ebenfalls enorm und sie zeigen es auch. Das alles scheint in der Vergangenheit des Hauses und den schrecklichen Taten ihrer Bewohner seinen Ursprung zu haben. Zu allem Überfluss verliebt sich der durch das Haus dauergeile Collier in eine Braumeisterin, die in einer Art selbstauferlegtem Zölibat lebt. Kann das gutgehen?

Ja, die Darstellung von sexueller Gewalt ist extrem. Gerade in den Rückblenden und Albträumen, die im 19. Jahrhundert spielen. Ich musste während der Lektüre schon zwei-dreimal schlucken. Aber sie ist kein Selbstzweck. Sie ist nicht dazu da, dass man sich aufgeilt oder nur eine tumbe Aneinanderreihung sämtlicher sexueller Perversionen, die Edward Lee eingefallen sind. Nein. Man liest die teilweise unvorstellbaren Grausamkeiten und ist angewidert. Und das ist etwas, was guten Horror ausmachen kann (Es gibt natürlich noch einige andere, subtilere Sachen, die guten Horror ausmachen können). Die Darstellung extremer Szenarien, die zwar fiktiv sind, aber durchaus Bereich des Möglichen liegen. Szenarien, die man sich lieber gar nicht vorstellen und schon gar nicht in der Realität erleben möchte. Aber anders als in der Realität werden diese Taten im Horrorgenre gnädigerweise oftmals durch eine übernatürliche Kraft verursacht. Das macht es erträglicher für den Leser als beispielsweise Nachrichten zu schauen. Das wird in diesem Roman geliefert. Als Überbau dient eine Spukhaus-Geschichte, gepaart mit dem faustischen Thema des Seelenverkaufs. Die sexuelle Gewalt wird durch die Reflexion der Protagonisten als das gezeigt, was sie ist: verabscheungswürdig. Das macht aus dem Buch für mich sogar, trotz alles expliziter Szenen, ein moralisches Buch. Ob die sexuell abstinente Braumeisterin jetzt aber das erstrebenswerte Idealbild ist, sei einmal dahingestellt. Aber ist gibt in diesem Roman Szenen, die noch verstörender sind, als alle Obszönitäten des Buchs zusammen. Das beschriebene Geschehen in der Fabrik am Endpunkt der von Gast und seinen Leuten gebauten Eisenbahnlinie. Der Originaltitel „The Black Train“ hebt diesen Aspekt auch mehr hervor als der Titel der Übersetzung. Die in mir beim Lesen sofort aufkeimenden und später auch im Text angestellten Vergleiche zu den Konzentrationslagern des Dritten Reiches, haben mir wieder einmal vor Augen geführt, dass die Realität in den allermeisten Fällen schlimmer ist als jede Fiktion. Und das ist der wahre Horror. Und das ist der Grund, warum es so eine Art Literatur geben muss. Literatur, die verstört, aber auf eine Art und Weise, dass man mit sich selbst ausmacht, dass das Gelesene Fiktion bleiben muss und keinen Platz in der realen Welt bekommt.

Fazit: Spukhausgeschichte mit durchaus extremer Darstellung von Gewalt und Sexualität. Manchmal gibt es auch nur Andeutungen der Gewalt, die aber die eigene Fantasie anregen und auf mich dadurch noch extremer wirken. Wenn man möchte, kann man in der Geschichte einiges an Tiefgang finden. Muss man aber nicht. Es ist auch so ein gutes Stück Horrorliteratur, das wirklich rockt. Meine von der Werbung stark herunter gedrosselte Erwartungshaltung wurde ums mehrfache übertroffen. Absolute Leseempfehlung für Freunde des Genres.


Edward Lee: Haus der bösen Lust
Originaltitel: The Black Train (2009)
Aus dem Amerikanischen von Michael Krug
Titelbild: Tina Marie Enos
Festa Verlag, 2012
400 Seiten
13,95 €
ISBN: 9783865521491 (Taschenbuch)
Auch als E-Book erhältlich (4,99 €)

Links:
Leseprobe
"Haus der bösen Lust" beim Festa Verlag
Offizielle Website Edward Lees
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