Mittwoch, 20. Januar 2016

Bov Bjerg: Auerhaus


Ein Roman, der von allen vier Teilnehmern des Literarischen Quartetts über den grünen Klee gelobt wird, und von dem der von mir sehr geschätzte Autor Clemens Meyer sagt, dass es einen guten Sound und Kraft habe, ließ mich einiges erhoffen. Zumal es offensichtlich eine Coming-of-Age-Geschichte ist (ich weiß nicht, ob ich es hier schon einmal erwähnt habe; aber ich liebe Coming-of-Age-Geschichten), die auch noch in den späten 80er Jahren spielt. Also zu einer Zeit als ich ungefähr im selben Alter der Protagonisten war. Da kann ja quasi gar nichts schief gehen, dachte ich.

Und jetzt - nach der Lektüre des Buches - bleibt mir nicht viel übrig, als mit in die Lobgesänge einzustimmen und ein kleines bisschen meinen Neid zu unterdrücken. Neid auf die Gabe Bov Bjergs, so knapp und so präzise zu formulieren, wie er es tut. Ich habe lange keinen Roman mehr gelesen, wo ich das Gefühl hatte: “Scheiße, so würde ich auch gerne schreiben können, wenn ich denn schreiben könnte.” Kein Geschwafel, kein Wort zu viel. Einfach nur auf den Punkt gebrachte kluge Sätze.

Die Geschichte lässt sich relativ kurz zusammenfassen. Vier Oberstufenschüler ziehen in ein altes Bauernhaus und leben dort in einer WG, um einen von ihnen, der einen Selbstmordversuch hinter sich hat, so etwas wie Halt zu geben. Im weiteren Verlauf stoßen noch zwei weitere Mitbewohner hinzu.

Und nun beschreibt Ich-Erzähler Höppner das Leben im Auerhaus (so wird es in Anlehnung an den Madness-Song genannt). Ich weiß, viele werden sich jetzt denken, dass sich das weder spannend noch interessant anhört. Doch weit gefehlt, durch den schon erwähnten Stil, schafft Bjerg es irgendwie den - ich weiß, es hört sich schwülstig an, aber es ist so - Zauber der Jugend aufleben zu lassen, der Phase des Lebens, wo man so viele erste Erfahrungen macht. Das macht gute Laune. Aber nicht nur. Denn es macht natürlich auch melancholisch, wenn man - gerade wenn man schon ein gewisses Alter erreicht hat - an diese Zeit erinnert wird. Noch dazu, schließt man alle Figuren, mit all ihren Macken und Fehlern, recht früh in sein Herz und weiß doch, dass es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein Happy End geben wird.

AUERHAUS ist ein Roman der auf knapp 240 Seiten viele Facetten bietet. Er ist vordergründig witzig, hintersinnig humorvoll, doch zugleich tieftraurig. Er ist stellenweise aufregend, stellenweise regt man sich auch einfach über die Figuren auf und an den richtigen Stellen nimmt Bjerg das Tempo raus. Das ganze wird dann noch mit dem nahezu perfekten Erzählstil (ich weiß, ich wiederhole mich) gepaart. Beispiele gefällig? Gerne:

Ich las Comics, Frieder irgendwelche Philosophen, Psychologen oder Suizidanleitungen. Alfred Adler: "Wozu leben wir?". Alfred Adler. Das klang wie eine Figur aus Donald Duck. Ich fragte Frieder leise: "Und, weiß er's?" Frieder flüsterte: Zum Heiraten und Kinderkriegen."
Irgendwie ging es um Flugsimulatoren. Also diese nachgebauten Cockpits, in denen die Piloten fliegen übten, und starten und landen. Und so ein Flugsimulator sei ein Roman eben auch. Literatur ersetzte quasi das richtige Fliegen.
"Ambivalent" war selbst ambivalent, denn manchmal war es auch bloß ein gebildetes oder ironisches Wort für "beschissen".

AUERHAUS ist alles andere als "ambivalent", sondern hat  alles, was ich von guter Literatur erwarte und ist mein erstes Highlight im Lesejahr 2016. Folgende Lektüren werden sich an diesem Buch messen lassen müssen und ich bin mir sicher, dass - wenn überhaupt - nur wenige, ähnliche Begeisterungsstürme bei mir hervorrufen werden. Danke für diesen Roman, Bov Bjerg.

Bov Bjerg: AUERHAUS
Blumenbar 2015
Gebunden mit ausklappbarem Vorsatz, 240 Seiten
ISBN: 978-3-351-05023-8 € 18,00

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