Freitag, 18. April 2014

China Miéville: Perdido Street Station

Zum ersten Mal liegt China Miévilles mit Preisen überhäufter Roman PERDIDO STREET STATION in einem Band in deutscher Sprache vor (abgesehen von einer längst vergriffenen Amazon Sonderausgabe). Grund genug für mich, mir endlich einmal das Buch, das von vielen Seiten so hochgelobt wird, zu Gemüte zu führen.

Miéville entwickelt in diesem Roman das Bildnis einer zukünftigen Großstadt namens New Crobuzon. Er entwirft einen urbanen Moloch, der Seinesgleichen sucht und der Erfindungsreichtum, den er an den Tag legt, wenn es er neue Phantasiewesen erschöpft, lässt einen vor Staunen beim Lesen manchmal nur noch mit offenem Mund dasitzen. Diese komplexe Welt, die er da erschaffen hat, benötigt auch eine komplexe Sprache, die uns Miéville und seine Übersetzerin Eva Bauche-Eppers auch bieten. Das macht PERDIDO STREET STATION nicht immer zu einer einfachen Lektüre. Wer einfach nur banale Action sucht, ist hier fehl am Platze. Den bildgewaltigen Beschreibungen von Personen und Orten wird der Platz eingeräumt, den sie benötigen, um diese Hölle von Stadt im Kopf des Lesers lebendig werden zu lassen. Man glaubt sich manchmal mittendrin in New Crobuzon, man meint teilweise die Stadt riechen zu können.
Aber natürlich erzählt Miéville auch eine Geschichte. Und zwar eine Geschichte die Genregrenzen einreißt. Perdido Street Station lässt sich nicht wirklich einem Genre der Phantastik zuordnen. Es ist Science Fiction, Fantasy und Horror auf höchstem erzähltechnischen Level zugleich. New Crobuzon ist die größte Stadt in Bas-Lag, einer Welt, in der mehrere von Miévilles Geschichten spielen.  Isaac Dan der Grimnebulin ist ein menschlicher Wissenschaftler, der mit seiner Freundin Lin, Künstlerin und eine Khepri (roter menschlicher Körper mit Käferkopf) in der Stadt lebt und an anderer Stelle forscht. Er bekommt einen Auftrag von einem Garuda namens Yagharek. Garudas sind menschengroße flugfähige Wesen, nur Yagharek wurden aufgrund einer Verfehlung die Flügel entfernt. Sein Auftrag an Isaac ist nun, ihm die Flugfähigkeit wieder zu ermöglichen. Dazu bestellt sich Isaac allerlei flugfähiges Getier in sämtlichen Stadien in sein Labor und eines davon birgt eine unermessliche Gefahr. Das ist der Haupthandlungsstrang, mit dem auch alle Nebenhandlungsstränge irgendwie verwoben sind. Lin soll eine Skulptur von einem Drogenboss erstellen und die Stadtregierung hat ihre Finger überall mit im Spiel;  eine Gruppe Rebellen und Streikende, viel Magie und noch mehr finstere Gestalten und Dämonen sind ebenfalls mit von der Partie. Miévilles Ideenreichtum kennt keine Grenzen. Und als die Gefahr real wird, gibt es viele unterschiedliche Interessen und Versuche, sie einzudämmen.

PERDIDO STREET STATION (das ist ubrigens der zentrale Bahhnhof der Stadt) gehört vollkommen zu Recht zum Kanon der phantastischen Literatur der letzten 20 Jahre. Das einzige, was mich ein klein wenig gestört hat, ist, dass Miéville manchmal zu viel Augenmerk auf Nebensächlichkeiten lenkt. Nebensächlichkeiten, die wunderbar erzählt und beschrieben sind, aber doch von der eigentlichen Handlung ablenken. Jetzt werden manche sagen, dass das doch das Salz in der Suppe ist, wenn man fremde Welten auferstehen lässt. Aber ich wollte manchmal nur wissen, wie es in der Geschichte um die FALTER und den WEBER (so die einzelnen Titel der zweibändigen deutschen Erstauflage) weitergeht. Vielleicht bin ich da doch eher simpel gestrickt, was das angeht.

Ich möchte jedem, der sich für anspruchsvolle phantastische Literatur interessiert, nahelegen einmal im Leben PERDIDO STREET STATION zu lesen. Und da ist es egal, ob man sonst eher auf Science Fiction oder auf Horror a la Lovecraft oder auf dreckige moderne Fantasy steht: hier ist für jeden nicht nur etwas dabei, hier verschmelzen die Genres zu etwas Neuem.

China Miéville: Perdido Street Station 
Roman
Titel der englischen Originalausgabe: PERDIDO STREET STATION (2000)
Aus dem Englischen von Eva Bauche-Eppers
Heyne, März 2014
848 Seiten
16,99 € (Taschenbuch)
ISBN: 978-3453315396
auch als E-Book (13,99 €) erhältlich

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