Zum ersten Mal liegt China Miévilles mit Preisen überhäufter
Roman PERDIDO STREET STATION in einem Band in deutscher Sprache vor (abgesehen von einer längst vergriffenen Amazon Sonderausgabe). Grund
genug für mich, mir endlich einmal das Buch, das von vielen Seiten so hochgelobt
wird, zu Gemüte zu führen.
Miéville entwickelt in diesem Roman das Bildnis einer
zukünftigen Großstadt namens New Crobuzon. Er entwirft einen urbanen Moloch,
der Seinesgleichen sucht und der Erfindungsreichtum, den er an den Tag legt,
wenn es er neue Phantasiewesen erschöpft, lässt einen vor Staunen beim Lesen
manchmal nur noch mit offenem Mund dasitzen. Diese komplexe Welt, die er da
erschaffen hat, benötigt auch eine komplexe Sprache, die uns Miéville und seine
Übersetzerin Eva Bauche-Eppers auch bieten. Das macht PERDIDO STREET STATION nicht
immer zu einer einfachen Lektüre. Wer einfach nur banale Action sucht, ist hier
fehl am Platze. Den bildgewaltigen Beschreibungen von Personen und Orten wird
der Platz eingeräumt, den sie benötigen, um diese Hölle von Stadt im Kopf des
Lesers lebendig werden zu lassen. Man glaubt sich manchmal mittendrin in New
Crobuzon, man meint teilweise die Stadt riechen zu können.
Aber natürlich erzählt Miéville auch eine Geschichte. Und
zwar eine Geschichte die Genregrenzen einreißt. Perdido Street Station lässt sich
nicht wirklich einem Genre der Phantastik zuordnen. Es ist Science Fiction,
Fantasy und Horror auf höchstem erzähltechnischen Level zugleich. New Crobuzon
ist die größte Stadt in Bas-Lag, einer Welt, in der mehrere von Miévilles
Geschichten spielen. Isaac Dan der
Grimnebulin ist ein menschlicher Wissenschaftler, der mit seiner Freundin Lin,
Künstlerin und eine Khepri (roter menschlicher Körper mit Käferkopf) in der
Stadt lebt und an anderer Stelle forscht. Er bekommt einen Auftrag von einem
Garuda namens Yagharek. Garudas sind menschengroße flugfähige Wesen, nur Yagharek wurden aufgrund einer Verfehlung die Flügel entfernt. Sein Auftrag an Isaac
ist nun, ihm die Flugfähigkeit wieder zu ermöglichen. Dazu bestellt sich Isaac
allerlei flugfähiges Getier in sämtlichen Stadien in sein Labor und eines davon
birgt eine unermessliche Gefahr. Das ist der Haupthandlungsstrang, mit dem auch
alle Nebenhandlungsstränge irgendwie verwoben sind. Lin soll eine Skulptur von
einem Drogenboss erstellen und die Stadtregierung hat ihre Finger überall mit
im Spiel; eine Gruppe Rebellen und
Streikende, viel Magie und noch mehr finstere Gestalten und Dämonen sind ebenfalls mit von der Partie. Miévilles Ideenreichtum kennt keine Grenzen. Und als die Gefahr
real wird, gibt es viele unterschiedliche Interessen und Versuche, sie
einzudämmen.
PERDIDO STREET STATION (das ist ubrigens der zentrale Bahhnhof der Stadt) gehört vollkommen zu Recht zum Kanon
der phantastischen Literatur der letzten 20 Jahre. Das einzige, was mich ein
klein wenig gestört hat, ist, dass Miéville manchmal zu viel Augenmerk auf
Nebensächlichkeiten lenkt. Nebensächlichkeiten, die wunderbar erzählt und
beschrieben sind, aber doch von der eigentlichen Handlung ablenken. Jetzt
werden manche sagen, dass das doch das Salz in der Suppe ist, wenn man fremde
Welten auferstehen lässt. Aber ich wollte manchmal nur wissen, wie es in der
Geschichte um die FALTER und den WEBER (so die einzelnen Titel der zweibändigen
deutschen Erstauflage) weitergeht. Vielleicht bin ich da doch eher simpel
gestrickt, was das angeht.
Roman
Titel der englischen Originalausgabe: PERDIDO STREET STATION (2000)
Aus dem Englischen von Eva Bauche-Eppers
Heyne, März 2014
848 Seiten
16,99 € (Taschenbuch)
ISBN: 978-3453315396auch als E-Book (13,99 €) erhältlich
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