Arthur Gordon Wolf: Das Engels-Fresko
Vier relativ erfolglose Modells
kriegen unverhofft einen Job bei einem exzentrischen reichen Mann, der
Engelbilder sammelt. Ein guter Einstieg in die Anthologie. Wolf erfindet mit
dieser Geschichte zwar das Rad nicht neu, liefert aber gute Unterhaltung auf
sprachlich hohem Niveau ab. Aber das habe ich von ihm eigentlich nicht anders
erwartet.
Melchior von Wahnstein:
Illumination
Melchior von Wahnstein. Solch ein
Pseudonym kann sich eigentlich nur ein Österreicher ausdenken. Ich gebe zu,
dass mir der Name im Inhaltsverzeichnis zum ersten Mal über den Weg gelaufen
ist und ich gebe zu, ob des obskuren Namens war ich auf das Schlimmste gefasst. Aber wie es so oft der Fall ist, wenn man mit gar keinen Erwartungen an eine
Geschichte herangeht, wurde ich sehr überrascht. „Illumination“ ist der innere
Monolog eines Mannes, der alleine in einer Kammer zum Großmeister eines nicht
näher genannten Ordens initiiert werden soll. Sein einziger Zimmergenosse ist
ein Totenschädel. Wie sich der Wahnsinn des Erzählers von Seite zu Seite
steigert und wie Wahnstein es ihn erzählen lässt, ist einfach nur beklemmend.
Großes Kino.
Carmen Weinand: Rage
Carmen Weinand dürfte dem
geneigten Leser vor allem wegen ihres Blogs „Horror and more“ bekannt sein.
Hier wagt sie sich nun erstmals auf die andere Seite und veröffentlicht selbst
eine Kurzgeschichte (mittlerweile ist ein kleiner Sammelband mit dem Titel IN
DIR mit drei Geschichten ebenfalls bei
Amrûn erschienen). Die Story „Rage“ handelt von einer Frau, die
plötzlich auf dem Weg zur Arbeit ausrastet und mehr oder weniger Amok läuft.
Der Grund ihrer Taten ist aber kein „normaler“. Der Plot ist zugegebenermaßen
nicht sonderlich originell. Geschichten dieser Art gibt es wohl zuhauf. Was
diese Geschichte interessant macht, ist die
Sprache. Besonders die Dialoge sind sehr authentisch geschrieben, so
spricht man wirklich miteinander. Ich freue mich schon, mehr von Frau Weinand
lesen zu dürfen. Wo wir gerade bei ihrer Geschichte sind, will ich noch
erwähnen, dass die sie auch die Autorenporträt in dieser Anthologie dazu
gesteuert hat. Diese wirken mir aber teilweise zu bemüht. Die Texte sollen auf
Teufel komm raus witzig oder amüsant sein. Das merkt man ihnen an und dadurch sie sind es
größtenteils nicht. Vielleicht mag ich es, was Autorenporträts angeht, eher
klassisch. Diese haben mir nicht gefallen und passen auch durch die versuchte
humorige Art nicht zum Rest der Anthologie.
Constantin Dupien:
Meteoritenfeuer
Dupien war mir vor den Legionen
durch den von ihm herausgegebenen Band SARTURIA MACABRE bekannt, zu dem er auch
zwei Geschichten dazu steuerte. In der Story „Meteoritenfeuer“ gerät ein schon
so recht unsympathischer Army-Colonel bei einem Alien-Angriff vollends außer
Kontrolle. Die erste Geschichte, die mich nicht überzeugen konnte. Das Ganze
wird irgendwie dahingeschludert und ein bisschen lieblos ausgeführt, so als
müsste der Autor kurz vor Redaktionsschluss noch etwas abliefern. Auch der
Twist am Ende kann die Story nicht mehr rausreißen.
Daniela Herbst: Letzter Gedanke
München
Wieder etwas von einer mir
unbekannten Autorin. Die Geschichte handelt von einer Zombieinvasion in
München. Was soll ich groß dazu schreiben. Eine 08/15-Zombie-Story, die ich so
oder so ähnlich schon zu oft gelesen habe, als dass ich noch Gefallen daran
finden könnte. Ein bisschen origineller sollte ein solch abgelutschtes Thema
schon verpackt sein.
Des Romero: Katharsis
Des Romero, Schöpfer der
Romanserie HÖLLENJÄGER, bietet mit „Katharsis“ eine sehr gute Grundidee. Ein
Vater nimmt seine Tochter mit zur Arbeit. Er ist Gerichtsmediziner. Auch was
sich daraus dann noch überraschendes entwickelt, bietet Stoff für eine gute
Geschichte. Leider schafft es Romero diesen guten Ansatz mit Atmosphäre zu
füllen, so dass am Ende leider nur eine durchschnittliche Geschichte
herauskommt.
Werner Skibar (Charly Blood):
Bittere Früchte
Und wieder ein österreichischer
Autor. Zu dieser Geschichte kann ich fast das gleiche schreiben wie zu der
Des-Romero-Story. Ein Wiener Sandler (Penner) isst die falschen Früchte auf dem
Naschmarkt und die Folgen bekommen ihm gar nicht gut. Auch hier fehlt das
gewisse Etwas, das die Geschichte über den Durchschnitt hinausheben würde. So
bleibt nach dem Lesen das Gefühl, dass nicht alles aus der Idee raus
geholt wurde.
Guido Ahner: Nyxie Zombie
Die zweite Zombie-Geschichte der
Anthologie. Diesmal aber eine eher unkonventionelle. Eine alkoholkranke
Theaterregisseurin, die auch eine Laientheatergruppe im Fußball trainiert wird
durch ein medizinisches Experiment zum Zombie. Das liest sich jetzt nicht nur
absurd, das ist es auch. Leider überfrachtet Ahner die Story etwas zu sehr mit
metaphorisch-gesellschaftskritischen Anspielungen. Weniger wäre hier mehr
gewesen. Trotzdem habe ich den Autor auf die Liste der zu beobachtenden Autoren
gesetzt. Ich mag solch absurde Sachen einfach.
John Aysa (Alexander Ater): Das
Haus der untergehenden Sonne
Sechs Freunde wollen einen Tag
auf dem Anwesen des Onkels von einem der sechs verbringen. In bester
Slasher-Manier muss dann einer nach dem anderen dran glauben. Viel Gore, viel
Sex und viele Anspielungen auf mehr oder weniger bekannte Filme. Eine gute
Geschichte, die Lust auf mehr Geschichten des Autors macht (mittlerweile ist
schon ein bisschen was von Aysa im mkrug Verlag erschienen). Einziges Manko ist
die etwas aufgesetzt wirkende sexuelle Obszönität, die die Handlung nicht
weiterbringt und nur auf Effekt hin
konstruiert ist.
Karin Reddemann: Die Schwarzen
hinter dem Vorhang
Diese Geschichte bietet einen
schönen Kontrast zur vorhergehenden und zeigt die Bandbreite der Anthologie
auf. Vier Menschen in einem Haus erzählen sich gegenseitig ihre Träume und
irgendwie fürchten sie sich vor den Schwarzen hinter dem Vorhang, wer auch
immer die sind. Eine surreale Geschichte, die viel Interpretationsspielraum
lässt. Zuerst war ich etwas ratlos. Eine Geschichte die zum zweiten oder
vielleicht auch dritten Lesen anregt, wenn man sich darauf einlässt. Bestimmt
nicht jedermanns Sache, aber mir hat es gefallen.
Kristina Lohfeldt: Der letzte
Märchenprinz
„Der letzte Märchenprinz“ ist
mehr oder weniger eine Neuinterpretation eines bekannten deutschen Märchens.
Das Ganze ist nett gemacht, aber nichts Weltbewegendes.
Marc Gore: The Chick and the
Wolfman
Gores Storyband THE TERROR
COMPILATION habe ich schon besprochen. Der kam zwar nicht besonders gut weg,
aber im Gegensatz zu dieser Geschichte hier, war jede einzelne Geschichte aus
THE TERROR COMPILATION um Längen besser. Ein Paar, er ist übrigens ein Werwolf,
hat im amerikanischen Süden eine Bank überfallen. Auf der Flucht wird das
Mädchen (the Chick) von einem Motelbesitzer, einer Rockerbande und einem Deputy
sexuell belästigt oder gar vergewaltigt (innerhalb von 24 Stunden). Oh Mann,
das hört sich nicht nur hanebüchen an: Das ist es auch. Hier gibt es plakative
Gewalt nur um der Gewalt willen. Ich hab nichts gegen Gewalt in der Literatur,
ich bin ja nicht umsonst ein Horror-Fan, aber die Gewalt sollte in die Handlung
eingebettet sein. Nicht umgekehrt. Noch dazu ist die Story stilistisch eher
simpel gestrickt.
Marc Hartkamp: Blacklight
Ein Parapsychologe kann mit einer
von ihm entwickelten Schwarzlicht-Taschenlampe Wesen aus dem Jenseits erkennen.
Eine kurze, überraschungsarme Geschichte, die aber ganz gut unterhält
Michael Sonntag: Die
Rotkäppchenfalle / Stadt ohne Sheriff
Michael Sonntag liefert hier zwei
Miniaturen ab. „Die Rotkäppchenfalle“ ist eine Umkehrung des altbekannten
Märchens und „Stadt ohne Sheriff“ ist ein Weird Western. Beide Stories sind
okay, aber solch kurze Geschichten müssen für mich etwas Beeindruckendes haben,
um im Gedächtnis haften zu bleiben. Und beeindruckend sind die Stories leider
nicht.
Moe Teratos: Die Rache
„Die Rache“ ist eine Rape &
Revenge-Story, die mitten in Duisburg spielt. Geschichten, die im
Ruhrgebiet spielen, haben es bei mir immer ein bisschen leichter. Aber diese
Geschichte würde mir auch gefallen, wenn sie woanders spielte. Die Beweggründe
der Protagonistin und Ich-Erzählerin werden plausibel dargestellt, wie sie sich
an ihren Peinigern rächt, ist verdammt fies und zum Schluss gibt es noch eine
überraschende Wendung. Ein Highlight des Bandes.
Rona Walter: Error
Und weiter geht es mit
beeindruckenden Geschichten von einer Dame. Rona Walter hat mit dem Roman
KALTGESCHMINKT ein mehr als beachtenswertes Debüt abgeliefert. In ihrer
Geschichte „Error“ foltert ein männlicher Ich-Erzähler seinen Chef. Während er
das tut, legt er seinem Opfer und dem Leser seine spezielle Philosophie dar und
entschuldigt seine Taten mit dem schlechten Zustand der Welt. Das ist vor allem
sprachlich auf hohem Niveau. Ich oute mich hiermit als Rona-Walter-Fan.
Sean Beckz: Der Tätowierer
Sean Beckz, der als
Self-Publisher schon einige Kurzgeschichtenbände veröffentlicht hat, liefert
uns die dritte Geschichte, die mehr oder weniger ein Folterszenario im
Mittelpunkt hat. Wieder in der ersten Person geschrieben beschreibt ein
erfolgreicher Geschäftsmann (Anwalt), wie er seinem neuen Hobby, dem
Tätowieren, frönt. Das Fiese ist, das die junge Frau, die er als Objekt seiner
Kunst benutzt, es alles andere als freiwillig über sich ergehen lässt. Eine
gute Erzählung, die das Pech hat, gegenüber den beiden vorherigen Geschichten
mit einem ähnlichen Thema etwas abzufallen. Ein anderer Standort im Buch wäre
hier angebracht gewesen.
Sönke Hansen: House of the Rising
Sun
“House of the Rising Sun” bietet Action pur. Ein
Raubüberfall auf ein Einkaufszentrum läuft aus dem Ruder, da sich der Besitzer
und die weiblichen Angestellten allesamt als Dämonen entpuppen. Eine sehr gute,
temporeiche Story, die nach einer Verfilmung schreit, wird uns von Hansen
präsentiert.
Stefanie Maucher: Haut
Die Autorin der Romane FRANKLIN
GOTHIC MEDIUM und FIDA bietet uns erneut eine Foltergeschichte. Im Gegensatz zu
den bisherigen Erzählungen der Art ist
diese aus der Perspektive des Gefolterten geschrieben. Auch hier gibt es nicht
viel zu kritisieren, der Ich-Erzähler kommt ziemlich unsympathisch und
uneinsichtig daher und Frau Maucher erzählt eindrucksvoll von seinen Qualen.
Thomas Backus: Frischfleisch
Ein Neuankömmling im Knast wird
unter der Dusche von alteingesessenen
Häftlingen vergewaltigt. Was seine Peiniger nicht wissen, ist das er ein
dunkles Geheimnis in sich trägt. Thomas Backus bedient sich hier zwar einer
Menge Knast- und Horror-Klischees, aber am Ende kommt eine unterhaltsame, wenn
auch nicht besonders originelle Geschichte heraus.
Tim Svart: Musik der Finsternis
Tim Svart steuert seine für den
Vincent Preis 2012 nominierte Kurzgeschichte „Musik der Finsternis“ zu den
Horror-Legionen bei. Ein Student verfällt dem Geigenspiel, der über ihm
wohnenden Studentin. Als sie ihn eines Nachts in sein Zimmer bittet, erfährt er
den Ursprung ihres Spiels. Eine Story mit einem deutlichen Locecraft-Touch, die
durch die erzeugte mysteriöse Stimmung zu überzeugen weiß.
Tony Lucifer (Doc Nachtstrom):
Ave Anus
Der Titel sagt schon, in welche
Richtung die Story des Herausgebers der Anthologie geht. Ein Ministrant wird in
einer Kirche zu einem Mitglied einer dämonischen Sekte gemacht. Der
Initiationsritus ist, sagen wir mal, für den Arsch. Eine auf eklige Effekte
setzende Kurzgeschichte, die zwar ein bisschen stimmungslos ist, aber der ich
eine gewisse Originalität nicht absprechen kann.
Torsten Scheib: Illusionen
Alleine diese Erzählung
rechtfertigt schon die Anschaffung dieser Anthologie. Nach einem nicht näher
benannten Atomunglück versucht der Ich-Erzähler das Geschehene zu verdrängen.
Die beiläufig eingestreuten, immer deutlicher werdenden Hinweise auf die reale
Situation erzeugen eine Intensivität, wie sie verstörender nicht sein kann.
Scheib liefert eine fulminante Variante eines bekannten Themas und damit eine
der besten Kurzgeschichten des Jahres.
Vincent Voss: Folge der Stimme
aus dem Anus Praeter
Nach Tony Lucifer beschert uns
auch Vincent Voss (172,3; FAULFLEISCH) eine Popo-Geschichte. Ein Altenpfleger
muss das tun, was der Titel der Geschichte aussagt. Der künstliche Darmausgang
eines Patienten spricht zu ihm und er leistet dem Folge, was dieser ihm
aufträgt. Das hört sich nicht nur wahnsinnig originell an, das ist es auch.
Leider vergisst Voss, ob seiner genialen Idee, die Handlung voranzutreiben, so
dass nur eine mittelmäßige Geschichte herauskommt.
Xander Morus: Das Wrack der
Zombies
Xander Morus ist einer der
erfolgreichsten Self-Publisher des Genres. Seine Story „Das Wrack der Zombies“
liefert eine routiniert erzählte wenig originelle Zombiegeschichte, die sich
gut lesen lässt, der aber das gewisse Etwas fehlt. Vier Leute suchen auf einem
Schiffsfriedhof vor der Küste von West-Sahara einen Schatz, finden dort aber
nur Zombies, die das tun, was Zombies halt so machen, wenn sie Menschen
treffen.
Meryjaine Webster: Der
Selbstversuch
Die abschließende Geschichte der
Horror-Legionen ist eine kluge Erzählung, die geschickt mit dem Unterschied von
Schein und Sein spielt. Die Ich-Erzählerin übertrifft durch ihre Taten ihren
schon sehr perversen Partner noch an Perversität. Die Brutalität wird eher
nebenbei erzählt und der Leser wird schön im Unklaren gelassen. Eine Autorin,
die im Auge zu behalten, bestimmt lohnenswert ist.
Obwohl ich nur wenig zu den
einzelnen Kurzgeschichten geschrieben habe, hat diese Rezension jetzt schon
eine gewaltige Länge. Gratulation an alle, die bis hierhin durchgehalten haben.
Was bleibt noch zu sagen: Bei 27 Stories von 26 Autoren kann man nicht
erwarten, dass jede ein Volltreffer ist oder meinen persönlichen Geschmack
trifft. Was ich zu dieser Anthologie aber sagen kann, dass ich schon überrascht
war, wie viele dieser Stories qualitativ im oberen Bereich anzusiedeln sind. Die
Reihenfolge ist in meinen Augen teilweise etwas unglücklich gewählt, aber das
ändert ja nichts an den einzelnen Geschichten. Da hier hauptsächlich junge oder
sagen wir mal noch nicht so etablierte Autoren handelt, mache ich mir keine
Sorgen, um die nahe Zukunft des Genres in Deutschland. Durch die Veränderungen,
die es im Moment durch die verlagsunabhängigen Selfpublisher, die auch in
dieser Anthologie zahlreich vertreten sind, gibt, ist die deutsche
Horrorliteratur ein wenig im Um-, vielleicht sogar im Aufbruch. Mal sehen, wie
es in, sagen wir mal, fünf Jahren aussieht. Mit den Horror-Legionen geht es
wohl weiter. Amrûn-Verleger Jürgen Eglseer hat für nächstes Jahr einen zweiten
Teil angekündigt. Nächster Herausgeber wird Christian Sidjani.
Fazit: Umfangreiche und gute
Anthologie, die einen erstklassigen Überblick über die „neue“ deutsche Horrorliteratur
verschafft. Dieses Jahr scheint ein gutes Anthologien-Jahr zu werden. HORROR-LEGIONEN
trägt sein Scherflein dazu bei.
Doc Nachtstrom (Hrsg.): Horror-Legionen
Amrûn, Juli 2013
450 Seiten
12,95 €
ISBN: 978-3944729046auch als E-Book erhältlich
"Horror-Legionen" bei Amrûn
"Horror-Legionen" bei Amazon
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen