Freitag, 14. Juni 2013

Alisha Bionda (Hrsg.): Sherlock Holmes und die Tochter des Henkers



Es ist verdammt lang her, dass ich das letzte Mal eine Sherlock-Holmes-Erzählung gelesen habe. Ich hab als blutjunger Mensch so ziemlich alle Bücher, die es von Arthur Conan Doyles Meisterdetektiv in der Unnaer Stadtbücherei gab, ausgeliehen und gelesen. Aber ich muss auch zugeben, dass die Erinnerung daran mit der Zeit schwer nachgelassen hat. Natürlich habe ich später dann etliche Sherlock-Holmes-Filme gesehen, von den Klassikern mit Basil Rathbone bis zu den neuen Verfilmungen mit Robert Downey Jr., aber die Bücher haben mich nicht mehr so interessiert.

Seit einiger Zeit gibt es nun den Trend neue Holmes-Geschichten zu erzählen. Vor allem deutsche Autoren versuchen sich an dem Meisterdetektiv. Bei dem hier besprochenen Band handelt es sich um den dritten, der von Alisha Bionda im Fabylon Verlag herausgegebenen Reihe "Meisterdetektive". Der erste Band, "Sherlock Holmes und das Druidengrab" war eine klassische Anthologie, der zweite Band ein Roman von Sören Prescher und Tobias Bachmann ("Sherlock Holmes taucht ab"). Aber schon vorher gab es im Blitz Verlag, im Atlantis Verlag und bei Voodoo Press das ein oder andere Sherlock-Holmes-Buch aus deutscher Feder.

Das besondere an dieser Anthologie, "Sherlock Holmes und die Tochter des Henkers", ist, dass die vier jeweils ca. 50 Seiten langen Erzählungen von einem Autoren-Duo geschrieben sind. Und zwar, so die Vorgabe der Herausgeberin, einmal aus der von Doyle bekannten Perspektive Dr. Watsons und einmal aus der Sherlock-Holmes-Perspektive. Die Autorenpaare haben aber teilweise recht unterschiedliche Ansätze benutzt, um diese Vorgabe umzusetzen. Ich möchte nun gerne kurz auf die einzelnen Erzählungen eingehen.


"Das Rätsel des Rad fahrenden Affen" von Desirée und Frank Hoese ist eine Holmes-Story in klassischer Manier, wenn man die Tatsache weglässt, dass Teile der Geschichte aus Holmes`Perspektive erzählt werden. Die Geschichte dreht sich um einen Juwelendiebstahl, einen Zirkus und (der Titel lässt es erahnen) einen Affen. Wer sich einigermaßen im Genre des Detektivromans auskennt, kann sich zusammenreimen, was für eine Geschichte aus diesen Zutaten gemixt wird. Aber die Geschichte bezieht ihren Reiz aus den beiden Erzählperspektiven. Hier wurde die Prämisse wie erwartet umgesetzt und herausgekommen ist eine unterhaltsame Detektivgeschichte auf handwerklich hohem Niveau.

Story Nummer zwei "Holmes und die Selbstmörder von Harrogate" von Tanya Carpenter und Guido Krain zeigt einen gänzlich anderen Sherlock Holmes. Er schleust sich als Patient in eine Klinik ein, um dort eine Selbstmordserie aufzuklären. Anders als die Hoeses, die Holmes und Watson getrennt als Ich-Erzähler benutzt haben, gibt Watson hier den klassischen Ich-Erzähler und die Sequenzen ohne ihn werden aus der 3. Person heraus erzählt. Neben der Lösung des Falles kümmert sich der Detektiv in dieser Geschichte auch sehr intensiv um die weiblichen Mitarbeiter der Klinik. Hier versuchen die Autoren eine erotische Komponente ins Spiel zu bringen. Aber das geht in meinen Augen schief und daher finde ich diese Geschichte verunglückt, obwohl der Kriminalfall an sich durchaus seinen Reiz hat.

Antje Ippensens & Margret Schwekendieks titelgebende Episode "Die Tochter des Henkers" ist wieder eine klassische Detektivgeschichte, in der Holmes den arroganten Meisterdetektiv gibt und Dr. Watson seinen Gehilfen. Wieder wird zweimal aus der ersten Person heraus erzählt und die beiden Helden müssen im Auftrag der Tochter den Tod des Henkers von London untersuchen. Ein paar überraschende Wendungen machen diese Story zu einer guten Detektivgeschichte.

Die letzte Geschichte "Die Wahrheit über Sherlock Holmes" von Erik Hauser und Oliver Plaschka geht formal und inhaltlich gänzlich andere Wege als die drei Vorgänger. Die Autoren geben vor, in den Besitz bisher unbekannter Dokumente gekommen zu sein. Vor allem sind das Briefe die ein Dr. Joseph Watson an einen gewissen Arthur Conan Doyle geschrieben hat, aus denen hervorgeht, dass Doyle die Vorlage für seine Geschichten von einem Patienten aus Dr. Watsons Nervenklinik erhalten hat. Wie hier mit einem Mythos umgegangen wird, wie er entzaubert wird, das ist ganz große Klasse. Ich kann mir vorstellen, dass Anhänger klassischer Holmes-Geschichten nichts mit dieser Story anfangen können. Aber für mich zeigt diese Geschichte, wie man im 21. Jahrhundert mit einer fast schon mythischen Figur wie Sherlock Holmes umzugehen hat, um daraus ein eigenständiges Stück Literatur zu machen. Hier wird der Holmes-Mythos zwar dekonstruiert, aber das sehr respektvoll und literarisch anspruchsvoll.

Fazit: Zwei unterhaltsame, klassische Detektivgeschichten und eine misslungene Erotisierung Sherlock Holmes' würden eine durchschnittliche Anthologie ergeben. Aber die Erzählung von Erik Hauser und Oliver Plaschka hebt diese Anthologie über den Durchschnitt heraus. "Die Wahrheit über Sherlock Holmes" ist inhaltlich innovativ und formal hebt sie sich von anderen Geschichten ab. Die "klassisch" erzählten Geschichten bleiben immer Kopien der Werke Doyles. Hier wurde etwas Eigenständiges geliefert. Und das macht aus dieser Anthologie etwas Besonderes.



Alisha Bionda (Hrsg.): Sherlock Holmes und die Tochter des Henkers
Cover und Illustrationen: Crossvalley Smith
Fabylon, 2012
200 Seiten
14,90 €
ISBN: 978-3-927071-3
Auch als E-Book erhältlich (3,99 €)

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